Im Bunker sucht sie jetzt die eigenen Abgründe

Der neue Roman von Andrea Maria Schenkel ist ganz anders als „Tannöd“ und „Kalteis“ – ob ihr Millionenpublikum das auch gut findet?
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Der neue Roman von Andrea Maria Schenkel ist ganz anders als „Tannöd“ und „Kalteis“ – ob ihr Millionenpublikum das auch gut findet?

Es sieht aus, als wäre man einem Skandal auf der Spur. So kenntnisreich und medizinisch genau beschreibt Andrea Maria Schenkel, die akribische Rechercheurin, in ihrem neuen Roman Einnahme und Wirkung von Heroin und Tollkirschen, dass sich die Frage aufdrängt: Ob sie am Ende selbst...?

Schenkel, Jahrgang 1962, ist das Erfolgs-Phänomen der deutschen Gegenwartsliteratur. Ihr vor drei Jahren erschienenes Debüt „Tannöd“, in dem sie einen besonders blutigen realen Provinzmord nachzeichnet, erreichte eine Millionen-Auflage und wird gerade verfilmt (Starttermin im Herbst). Ihr zweites Buch, „Kalteis“, über den ebenfalls realen Münchner Massenmörder Johann Eichhorn, verkaufte immer noch sechsstellig, hier arbeitet der Regisseur Hark Bohm gerade am Drehbuch. Trotzdem (oder deswegen) wird die Autorin von der Kulturkritik oft nur schräg angeschaut: „Wer will denn eine Hausfrau aus der Oberpfalz interviewen?“, hatte sie selbst einmal zur AZ gesagt.

Er entführt sie. Sie wehrt sich. Aber nicht lange.

Jetzt erscheint „Bunker“, Schenkels neuer Roman. Wieder geht es um menschliche Abgründe, Verbrechen und Überlebenskampf. Aber „Bunker“ ist völlig anders als Schenkels Megaseller davor.

Das beginnt schon bei der Frage, um was es eigentlich geht. „Bunker“ hat keine Geschichte in diesem Sinne. Das Buch beschreibt einen Mann und eine Frau, die zusammen in einem Waldverlies sind. Er hat sie entführt. Sie versucht zunächst, sich zu wehren, nähert sich dann aber ihrem Peiniger immer stärker an. Am Ende gibt es ein Gemetzel, aber es ist nicht einmal ganz klar, wer nun genau wem was in den Bauch sticht und wie davonkommt oder nicht.

Es war viel los bei Andrea Maria Schenkel seit „Kalteis“: Lust und Last des Riesenerfolgs, die Lesungen, die Auftritte. Der lange Streit vor Gericht um die Frage, ob „Tannöd“ stellenweise ein Plagiat ist (Antwort der Justiz: nein). Und sie begann ein Buch, das ihr drittes werden sollte. Eine Story, wieder mit riesigem, monatelangen Rechercheaufwand; sie umfasse einen Zeitraum von 60 Jahren und behandle das Thema Drittes Reich, verrät Schenkel. Doch dieses offenbar monströse Thema hat seiner Autorin den Kopf verstopft – das Manuskript liegt immer noch auf ihrem Schreibtisch.

Es wird fast schon abstrakt

Und so passierte „Bunker“: „Eine völlig fiktionale Geschichte, die schnell und frei aus mir herausfließen konnte“, erzählt Schenkel, „ein Zwischenbuch“. Ein Experiment, „ein Versuch, der an Grenzen geht, bei dem bewusst viele Fragen offen bleiben“. Die Autorin springt zwischen verschiedenen Ich-Perspektiven hin und her, verschiebt Zeitebenen, spielt mit extremen Tempi und mit Trugbildern, verschachtelt die Vor- und Rückblenden, bis es fast abstrakt wird.

„Ich wollte wissen, was mit der Psyche von Menschen in so einer Situation passiert“ – Schenkel leuchtet diesmal in Abgründe, die keine konkrete Vorlage mehr haben, außer dem, was in ihr selbst und in uns allen steckt. Spannend wird nun allerdings sein, ob Schenkels Publikum ebenso viel Freude wie sie selbst an einem experimentellen Zwischenbuch hat.

Und wie ist das nun mit dem Drogen-Skandal? „Es liest sich wohl so, als ob ich es ausprobiert hätte“, lacht Schenkel. „Hab’ ich aber nicht. Ich bin zum Glück mit einem Arzt verheiratet, der über so was viel weiß.“

Michael Grill

Andrea Maria Schenkel: „Bunker“ (Ed. Nautilus, 12.90 Euro)

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