"Ihr Deutsche seid verkleidete Dänen"

In der dritten Woche ist der Krimi "Verachtung" schon auf Platz eins der Bestsellerlisten. Aber der dänische Krimi-Autor Jussi Adler-Ol
von  Thomas Borchert

In der dritten Woche ist der Krimi "Verachtung" schon auf Platz eins der Bestsellerlisten.
Aber der dänische Krimi-Autor Jussi Adler-Olsen ist noch mit zwei weiteren Romanen
unter den Top-20 ("Das Alphabethaus", "Schändung"). So hat er
mit seiner Thrillerserie über das Sonderdezernat Q die deutschen
Bestseller-Listen gestürmt. In seinem neuen Arbeitshaus in Allerød
bei Kopenhagen beantwortet der 62-Jährige Fragen  zu seiner Arbeitsweise,
deutsch-dänischen Klischees und eigenen Lesegewohnheiten.

Sie sind als dänischer Autor viel in Deutschland. Wie erleben Sie
alte gegenseitige Klischees? Zum Beispiel, dass die Dänen immer nett
und locker sind und die Deutschen eher nicht so.


JUSSI ADLER-OLSEN: Es gibt noch das Klischee mit deutschen
Nordsee-Urlaubern, die sich am Strand Burgen bauen. Aber das mit dem
imperialistischen Deutschland ist weg. Ich habe auch immer gedacht,
dass ihr Deutschen extrem förmlich seid. Bis ich selbst persönliche
Bekanntschaften gemacht habe. Da habe ich gemerkt, dass ihr absolut
genauso dieselben Wünsche, Zweifel und humoristischen Neigungen wie
wir Dänen habt. Ihr seid "Danes in Disguise" ("verkleidete Dänen").
Bei uns hat zehn Jahre lang der frühere Regierungschef Anders Fogh
Rasmussen eine massiv antiliberale Politik betrieben. Jetzt wird nach
oben gebuckelt und nach unten getreten. Da haben sich neue Werte
durchgesetzt, die zu Dänemark nicht gehören und nie gehört haben.

Betrachten Sie Ihre Thriller vor allem als Unterhaltung oder als
relevante Form von Gesellschaftsanalyse?


Adler-Olsen: „Was hat uns skandinavische Krimi-Autoren in Gang
gebracht? Das waren die Schweden Maj Sjöwall und Per Wahlöö. Das war
unser aller Wiege. Den Krimis der beiden liegt soziale Empörung
zugrunde, wie früher auch bei Charles Dickens oder John Steinbeck.
Dazu müssen gute Plots und wilder Witz kommen. Ich sehe meine Bücher
als spannende Romane in der Tradition klassischer Erzählungen.“

Hat der Massenmord mit dem Massaker auf Utøya und der Bombe in Oslo
vor gut einem Jahr Ihr Schreiben verändert?


Adler-Olsen: „Überhaupt nicht. Es mag arrogant klingen, aber ich habe
so etwas wie Utøya und Oslo vorhergesehen. Die allerersten Romane,
die ich geschrieben habe, sind ja schon von der Wirklichkeit
eingeholt worden. Zum Beispiel schrieb ich "Frau im Käfig" (deutsch:
"Erbarmen") vor dem Fall Natascha Kampusch. Ich kann nicht verstehen,
dass eine demokratische Gesellschaft wie Norwegen dem Täter (Anm:
öffentliche) Redezeit einräumt, der das nicht verdient. Er hat ja
getötet, um zu Wort zu kommen. Es muss schrecklich für die
Hinterbliebenen der Opfer sein.“

Was lesen Sie abends im Bett, zur selben Zeit, wenn Ihre Leser auf
dem Nachtisch zu einem Jussi-Krimi greifen?


Adler-Olsen: „Ich bin in einer ganz schweren Lesephase zur Zeit, weil
ich permanent am Computer auf Buchstaben starre. Es gibt Phasen, in
denen ich einfach nicht lesen kann. Das geht besser am Nachmittag auf
einem bequemen Stuhl, wenn das Gehirn noch frisch ist. Davon habe ich
mehr. Bin neidisch auf meine Frau, weil die so gut im Bett lesen
kann.“

 

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