Igor Levit im Nationaltheater

Vor dem Vorspiel zu Wagners "Tristan und Isolde" krempelte der Pianist erst noch die Ärmel hoch. Dann ließ er unendliches Wähnen und Sehen langsam hochkochen. Die letzte Ekstase hatte allerdings - bedingt durch das Instrument - einen Beigeschmack von Schweiß und ächzendem Kraftakt. Dann beruhigte sich die Musik, und das tiefe Klopfen ging unmittelbar in Franz Liszts Sonate in h-moll über, die so beginnt, wie das "Tristan"-Vorspiel aufhört. Und wer diese Sonate kennt, versteht ohnehin, dass sich ein Pianist dafür vorher Luft- und Armfreiheit verschafft.
Igor Levit spielte eineinhalb Stunden lang ohne Pause. Das Programm war klug und beziehungsreich zusammengestellt. Wo passen Opernparaphrasen besser als in einem Opernhaus? Ronald Stephensons "Fantasy" über Themen aus Benjamin Brittens "Peter Grimes" überhöht diese Oper zum faustischen Erlösungsdrama. Das spiegelte sich im (hypothetischen) Programm der Liszt-Sonate. Levit hämmerte die Eingangsakkorde von Stephensons Paraphrase wie in Granit. Das Stück konzentriert sich ganz auf den tödlichen Ernst Brittens, der paradoxerweise durch Rückgriffe auf die romantische Klaviertradition betont wird. Am Ende regiert der fast meditativ gesetzte, hoch konzentrierte und teilweise im Klavier gezupfte Einzelton, als sei es ein karges Liszt-Spätwerk.
Das ist Musik, die in ihrer Zerklüftung Levit besonders entgegenkommt. Robert Schumanns ohnehin schon sehr episodische Fantasie in C-Dur drohte unter Levits Händen weiter zu zerfallen - vor allem im bedeutungsschwanger zelebrierten Kopfsatz. Der feurige Enthusiasmus des zweiten Satzes liegt dem Pianisten mehr, auch die getragene Ruhe des Finales kam prächtig heraus, ohne die unruhige Nervosität der Musik zu unterschlagen.
Aber bei seinem Schumann bleibt ein unerfüllter Rest: das naiv-schlichte. Ohnehin tendiert Levit dazu, Lyrismen gegen eine hart gemeißelte Dramatik auszuspielen. Da ist eine leichte Übertreibung nie ganz fern. Bei Liszts Sonate und ihrer Betonung der Extreme stört das allerdings nicht weiter. Levit macht allerdings keinen Virtuosenzirkus aus diesem Stück, er betont den vollen, radikalen Ernst der Musik.
Der Schluss überraschte allerdings: Levit verstand das Pochen im Bass weniger als Verneinung des Erlösungssäuselns in der hohen Lage, sondern als Harmonisierung. Das kann man so machen, aber es raubt dem Schluss seine faszinierende Zweideutigkeit.
Wie dem auch sei: Levit spielt nicht nur Klaviermusik, er denkt am Klavier über Musik nach. Die Einseitigkeit mancher seiner Ideen ist trotzdem anregend. Und es ist ein eigener Reiz, wenn in einem riesigen (restlos ausverkauften) Opernhaus, wo sonst Hunderte auf und hinter der Bühne mit der Kunstproduktion beschäftigt sind, eine einzelne Person mit einem Instrument die Musik zum Drama werden lässt.
Igor Levit gastiert am 9. September um 20.30 Uhr mit dem Israel Philharmonic Orchestra unter Lahav Shani in der Isarphilharmonie. Infos unter bellarte-muenchen.de