Ich wurde für verrückt erklärt
München hat wieder ein Literaturfest: Es läuft bis zum 5. Dezember und der aus Somalia stammende Schriftsteller Nuruddin Farah eröffnet es morgen
Mit der Rede des aus Somalia stammenden und in Kapstadt lebenden Autors Nuruddin Farah beginnt am Mittwoch der heiße Herbst der Literatur. Über 90 Autoren werden lesen und diskutieren. Kuratiert hat das Festival der Autor Ilija Trojanow („Der Weltensammler“), der Farah auch aus gemeinsamen Zeiten in Kapstadt kennt.
AZ: Herr Farah, Ihre Eröffnungsrede handelt von der Macht der Worte. Sie mussten wegen kritischer Worte Ihre Heimat Somalia in den 70ern verlassen. Haben Ihre Worte trotzdem gewirkt?
NURUDDIN FARAH: Das Schreiben selbst verändert noch nicht das Bewusstsein der Menschen. Erst wenn die Menschen bereit sind, bestimmte Informationen aufzunehmen, dann kann Schreiben viel verändern. Oder wenn sie für viele Menschen sprechen, die sonst keine Stimme haben. Das Leben ist eine lange Straße, ich wandere schon ein großes Stück auf ihr und schreibe seit meiner Jugend über die gleichen Themen: gegen Autoritäten, Diktaturen und religiöse Zwänge, für Frieden und Individualismus. Früher wurde ich dafür für verrückt gehalten, heute sind viele meiner Meinung.
Und wie erreichen Sie von Kapstadt aus die Menschen in Somalia?
In Somalia herrscht die mündliche Tradition vor. Aber ich kann auch mit Radiointerviews oder Theaterstücken zu den Menschen sprechen. Sarrazin hat die Deutschen auch nicht allein über sein Buch erreicht, sondern über Interviews, Artikel, Talkshows.
Sie wissen von seinem Buch?
Ja, aber ich verstehe seine Haltung nicht. Migration ist eine gute Sache. Deutsche verlassen doch auch ihr Land und ziehen nach Australien, New York oder Südafrika. Die Welt bewegt sich.
Es geht eher um die Integrationsbereitschaft der Einwanderer.
Solange ich die deutschen Gesetze befolge, sollte ich meine Traditionen bewahren dürfen und meine Religion, sofern ich eine habe. Ansonsten kann ich nur sagen, dass Kontakte mit anderen Kulturen das Leben immer reicher machen.
Ihre Eltern konnten nicht lesen und schreiben. Wie kamen Sie zur Literatur?
Mein älterer Bruder hat mir Bücher gegeben. Immer wenn ich eines gelesen hatte, musste ich ihm den Inhalt erzählen und dann bekam ich ein Geschenk – und das nächste Buch. Angefangen habe ich mit arabischen Büchern, aber auch mit Viktor Hugo oder Charles Dickens.
Die internationale Literatur hat Sie stärker beeinflusst als die afrikanische?
Ich glaube gar nicht, dass es so etwas wie eine nationale Literatur gibt. Es gibt auch keine deutsche Literatur, allenfalls eine von deutschen Autoren verfasste Literatur. Nehmen wir Grass, Enzensberger, zwei gute Freunde von mir, und Böll. Das sind doch sehr unterschiedliche Autoren, die keinesfalls nur von deutschen Autoren beeinflusst sind. Im Gegenteil, vielleicht gibt es ja spanische Autoren, die mehr mit Grass zu tun haben als andere deutsche. Den Begriff „deutsche Literatur“ gibt es, weil es Studiengänge gibt, oder weil Verlage so besser die Bücher verkaufen können. Was es aber wohl gibt, ist eine Literatur, von der jeder Autor zehrt und zu der jeder Autor seinen Teil dazugibt. Egal, aus welchem Land oder Kulturkreis er kommt.
Volker Isfort
Nuruddin Farah: Mittwoch, 19 Uhr, Gasteig, Carl-Orff-Saal