Ich bin nur das Material für Hermann Nitsch

Nackt aufzutreten, geht für Alexander Keil in Ordnung. Es ist ja schließlich für die Kunst. Und in „Saint François d’Assise” an der Staatsoper sollten auch mal 20 Minuten Streckbank drin sein
von  Robert Braunmüller

Das Publikum sieht ungern nackte Haut”, sagt Alexander Keil. „Man muss erst verstehen, dass sich die Nacktheit aus dem Stück heraus entwickelt und Sinn ergibt. Deshalb waren auch in der zweiten Vorstellung von Olivier Messiaens ,Saint François d’Assise’ zur Pause die Reaktionen sehr gespalten”.

Es war die Haut Keils, die solche Reaktionen auslöst. Der 26-Jährige Statist ist einer der nackten Gekreuzigten der Inszenierung des Wiener Aktionskünstlers Hermann Nitsch. Er wurde bei einem Casting für die 15-köpfige Gruppe der Aktionisten ausgewählt. „Nitsch hat von Anfang an gesagt, es wäre damit zu rechnen, dass der eine oder andere nackt auf der Bühne stehen würde”, erzählt Keil. „Wer das sein würde, entschied sich erst im Verlauf der Proben.”

Keil ist im Gespräch ein eher schüchterner Mensch, dem man die Theaterbegeisterung kaum ansieht. Er spielte bereits in der „Herzland”-Trilogie im Marstall eine kleine Rolle, ist in Kasachstan geboren und übersiedelte mit fünf Jahren nach Deutschland. Der Computergrafiker war früher als Bühnentechniker an der Staatsoper und arbeitet mittlerweile selbständig. Um das Abitur nachzuholen, besucht er ein Abendgymnasium: „Bildung und Wissen sind für mich sehr wichtig”.

Hermann Nitschs Kunst war ihm zuvor kein Begriff. Damit hat er sich erst nach der Hälfte der Proben richtig auseinander gesetzt. „Nitsch kam mit einem klaren Ziel hierher, er weiß genau, was er macht, hat es durchgezogen und ist zufrieden mit dem Ergebnis”, beschreibt Keil den Arbeitsstil des Künstlers. „Für ihn ist entscheidend, dass er bekommt, was er möchte. Er hat uns nicht gefragt, ob es uns Spaß macht, 20 Minuten an der Streckbank mit erhobenen Händen zu stehen. Die Staatsoper passt aber sehr fürsorglich auf, dass nichts passiert.”

Nackt aufzutreten geht für Keil in Ordnung, wenn es innerhalb des Theaters passiert. „Ich war nicht sicher, wie ich mich dabei fühle, aber es geht in Ordnung, solange keine Verwandten und Freunde zuschauen.” Die wohnen praktischerweise ziemlich weit entfernt. Und wegen einer Augenbinde ist Keils Gesicht auf Fotos nicht zu erkennen.

Am Sonntag ist die vorerst letzte Vorstellung des „Saint François” im ausverkauften Nationaltheater. „Ich war nur das Material, damit Nitsch seine Kunst präsentieren kann”, fasst Alexander Keil seine Erfahrung zusammen. Über die Gage sagt er nicht mehr als: „Ich finde sie in Ordnung.”

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