Hochsommerlich fröstelnde Erotik

Angela Denoke ist die Idealbesetzung in Christoph Marthalers Neuinszenierung von Janaceks „Die Sache Makropulos” – doch die eigentliche Primadonna saß in Salzburg im Graben
Robert Braunmüller |
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Erst marschiert ein Herr langsam durch den riesigen Gerichtsaal und fixiert die Tuba im Orchestergraben. Dann treffen sich zwei Damen in einem seitlichen Raucherkammerl und streiten darüber, ob die Welt durch die Verlängerung der menschlichen Lebenszeit auf 300 Jahre nicht erheblich zu bessern wäre.

Was sie reden, erfährt man wegen der Verglasung nur aus den Übertiteln. Man muss solche hinzuerfundenen Inszenierungs-Anfänge nicht mögen, doch die Idee des Regisseurs Christoph Marthaler hat Witz und Charme. Sie führt ins Zentrum von Leoš Janáceks Oper „Die Sache Makropulos”: Sie verhandelt auf der Bühne des Großen Festspielhauses in zwei pausenlosen Stunden den Fall einer unsterblichen Primadonna, deren Alterung durch ein Elixier eines Alchemisten seit der Zeit des Habsburgerkaisers Kaiser Rudolf II. angehalten wurde.

Angela Denoke ist die ideale Besetzung für die Rolle der Emila Marty, die leider viel zu oft von spätherbstlich tremolierenden Hochdramatischen übernommen wird. Das kühle und geschmeidige Metall ihres Soprans passt zu der eisigen Härte, mit der diese lebende Leiche ihre Mitmenschen behandelt. Und wenn die Denoke eine schlanke Femme fatale mit Bubikopf spielt, bleibt das auf der Bühne keine Behauptung.

Die von ihrer fröstelnden Erotik betörten Prozessgegner wirken mit Absicht der Regie in ihren Trenchcoats austauschbar. Raymond Very (Gregor) und Johan Reuter (Prus) formen mit den übrigen Sängern ein Janácek-Ensemble, das geschlossener kaum vorstellbar scheint.

Die wahre Primadonna dieser Produktion sind allerdings die Wiener Philharmoniker, die auch nicht jeden Tag ihrem Ruf gerecht werden, das beste Opernorchester der Welt zu sein. Hier sind sie es: Sie streicheln die Schönheit der Musik, ohne ihre herben Falten zu leugnen. Was farbig aus dem Orchestergraben tönt, hat nichts mit dem schlecht sortierten Krach zu tun, der bis heute auch an großen Opernhäusern als Janácek verkauft wird. Der Dirigent Esa-Pekka Salonen reizt mit dem Orchester die Radikalität aus, ohne jemals die Sänger zuzudecken oder das Kantige der Musik mit Lautstärke zu verwechseln. Die gestauten Ausbrüche an den Aktschlüssen und die düster strahlende Todesmusik gelangen unvergesslich.

Über Marthalers Regie schwebt der Schatten seiner Salzburger Janácek-Meisterleistung von 1998: Damals inszenierte er „Katja Kabanova” im Kleinen Festspielhaus, ebenfalls mit der Denoke in der Hauptrolle. Im Vergleich mit dieser Aufführung wirkt die „Sache Makropulos” müder, weil sich diese Konversationsoper mit der Liebe des Schweizers zu einsam schweigenden Menschen und Autisten ein wenig beißt. Trotzdem: Die von Marthaler hinzuerfundene schelmische kleine alte Frau mit der Gehhilfe (Silvia Fenz) ist ein berührendes Gegenbild zur alterslosen Kälte der Hauptfigur. Die trostlose Düsternis des holzvertäfelten Gerichtssaals (Anna Viebrock) atmet die Todesluft dieser Oper und die Hervorkehrung des Grotesken harmoniert mit den tänzerisch-maschinellen Momenten der Musik, die der Dirigent präzise hervorkehrt.

Die „Sache Makropulos” wurde vom Interims-Intendanten Markus Hinterhäuser vergleichsweise kurzfristig als eigene Visitenkarte ins Programm gehoben. Die Zweifel an der Opernkompetenz des langjährigen Konzertchefs haben sich mit dieser Produktion zerstreut. Es gab am Ende kein Buh für niemanden.

Es gibt viele Normal-Opernbesucher, die den Kritiker-Enthusiasmus für Janácek nicht teilen. Die orchestrale Perfektion der Aufführung könnte heilend wirken. Wie jede wirksame Medizin sind Salzburger Karten nicht ganz billig. Aber es sind noch welche zu haben.

Wieder am 13., 18., 25. und 30. August im Großen Festspielhaus. Karten unter +43-662-8045-500 oder www.salzburgfestival.at

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