Hinein ins volle Menschenleben
Klaus Maria Brandauer mit Friedrich Schillers „Lied von der Glocke“ im Hubert-Burda-Saal des Jüdischen Zentrums am Jakobsplatz
Die romantische Muse Caroline Schlegel fiel 1799 vor Lachen vom Stuhl, als sie dieses Gedicht las. Herrn Biedermeier & Co. gefiel jedoch Schillers Schwärmen von der „züchtigen Hausfrau“, die in der Stube waltet, während der Mann hinaus „ins feindliche Leben“ stürmt. „Das Lied von der Glocke“ war lange das beliebteste aller deutschen Gedichte, und noch heute schlägt es von der Masse geflügelter Worte her mühelos Johann Wolfgang von Goethe „Faust“.
Nur eines ist noch schöner, als Gedichte zu lesen: sie vorgelesen zu bekommen. Der Schauspieler Klaus Maria Brandauer beherrscht diese Kunst ganz besonders. Wenn vom Himmel die Rede ist, schwebt die Stimme in höchster Lage. Aber er kann auch grollen wie der Donner. Als Profi lässt er den erfahrenen Glockengießer brummig raunzen und setzt seine Strophen von Schillers Betrachtungen über das Menschenleben ab. Sein trocken-unpathetischer Tonfall sorgt dafür, dass es einem nicht ergeht wie Caroline Schlegel, wenn sich Schiller gegen die Volksherrschaft wendet und die Französische Revolution verdammt, in der die „Weiber zu Hyänen“ wurden.
Clou seiner Lesung war die vom Klavierduo Grau & Schumacher beigesteuerte Musik von Peter Joseph Lindpaintner. Es ist keine Schande, ihn nicht zu kennen, obwohl er von 1812 bis 1819 am hiesigen Isartortheater wirkte. Später ging er als Hofkapellmeister ins schillersüchtige Stuttgart, wo er nicht nur Verdi mit einer „Sizilianischen Vesper“ zuvorkam, sondern 1831 auch dieses Schiller-Melodram für einen Sprecher und vierhändiges Klavier komponierte.
Lindpaintner klingt wie schwacher Beethoven, aber darauf kommt es nicht wirklich an. Seine Vertonung funktioniert wie gute Filmmusik. Auf etwa zehn Zeilen Schiller folgt ein Zwischenspielchen, das die Stimmung nachzeichnet oder tonmalerisch den Blitz aufleuchten und eine Kirchentür knarren lässt, aber auch ordnungspolitische Anwandlungen nationalhymnenmäßig untermalt. Das gibt dem Hörer Raum zum Nachdenken über Schillers Worte.
Brandauer las zugunsten eines Kunstlehrstuhls der Uni Tel Aviv, der nach seiner verstorbenen Frau Karin benannt ist. Das ist ehrenwert. Aber auch ein bisschen schade. Der Sprachvirtuose könnte seine Kunst den Münchnern ruhig etwas öffentlicher spenden. Er ist als Vorleser wirklich exzellent.
Robert Braunmüller
- Themen:
- Ludwig van Beethoven