Heute gehn wir auf die Barrikaden
Anti-Atomkraft-Demos in einer ganz neuen Dimension – manchmal legt die Realität doch erstaunlich gut nach. Jedenfalls hat die Veranstaltungsreihe „Protest in München seit 1945” jetzt einen sehr aktuellen Aufhänger. Und ob bis Ende Juli noch ein paar Lunten gelegt werden, bleibt abzuwarten. Im Dschungel der über 100 Debatten, Vorträge, Rundgänge, Lesungen, Filme, Stammtische ... verliert man leicht den Überblick.
Und es werden noch mehr, plötzlich wollen und müssen nicht nur die üblichen Zuständigen vom Kulturreferat bis zu diversen Archiven auf die Barrikaden. Was kaum verwundert, das Thema stachelt eben an. Zumal längst protest- und demofernen Bürgern der Kragen platzt. Wobei in München der Blick schnell zu denen wandert, die immer schon eine Spur aufmüpfiger waren. Denn gerade in der brav-konservativen Landeshauptstadt fielen die Studentenunruhen der späten 60er Jahre ganz besonders ins Gewicht. Eine Fotoausstellung im Stadtmuseum erzählt davon in eindringlichen Bildern. Branko Senjor (1936 – 2005) hat sie eingefangen, er steckte mittendrin, hatte mit Anfang 30 noch einen direkten Draht zu den Studenten an der Kunstakademie und kannte viele Professoren persönlich.
Auch deshalb kommt Senjor seinem Streitpersonal erstaunlich nah. Unverblümt präsentieren sich selbst die Würdenträger der Alma Mater am großen Kollegiumstisch bei Kaffee und Kuchen, dann wieder geordnet debattierend. Einen geradezu amüsanten Gegensatz bildet diese Gesprächskultur zu den bunt gemischten Spontanversammlungen der Studenten und vor allem den legendären Happenings und schrillen Aktionen. Am „Tag des Zweirads” führt Alfred Lachauer (heute ein Abstrakter, der sich ganz gut verkauft) in Talar und Kasel eine Horde radelnder Studenten durch die Wandelgänge der Akademie, begleitet von einem Weihrauch schwenkenden Kommilitonen. Und ein paar Bilder weiter steht ein von der Vergangenheit eingeholter Hermann Kaspar vor den Hakenkreuzen, die ihm Studenten an die Tür gepinselt haben. Der Professor und Speer-Spezl zählte einst zur Nazi-Kulturprominenz, organisierte 1937 die Festumzüge und Aufmärsche zum „Tag der Deutschen Kunst”.
Und nach ein paar Haftbefehlen in hübschem Beamtendeutsch und einem Film, der ehemalige Studenten, Lehrer, Politiker, überhaupt Zeitzeugen zu Wort kommen lässt, ist man schon am Ende dieser sehr intensiven Episode des Protests angelangt. Schade eigentlich. Denn die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten am Samstag, die 1953 fast einen Bürgerkrieg entfacht hätten, die Hausbesetzungen und Wackersdorf, die Proteste gegen den Freispruch von NS-Funktionären oder die Demos gegen Neonazis, die im Buch von Zara Peiffer so spannend aufbereitet sind, wären ein Fall für eine wirklich umfassende Ausstellung.
„Branko Senjor” bis 1. Mai im Stadtmuseum, Veranstaltungen auf protest-muenchen.sub-bavaria.de
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