Herzschlampereien

Der deutsch-israelische Schriftsteller Rafael Seligmann stellt in München seine Biografie vor, sein doppeltes Liebesleben inklusive
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Der deutsch-israelische Schriftsteller Rafael Seligmann stellt in München seine Biografie vor, sein doppeltes Liebesleben inklusive

Als seine Familie 1957 von Israel nach München umzog, hatte der zehnjährige Rafael Seligmann begreiflicherweise Angst. Sein Vater versuchte ihn mit einem Satz zu beruhigen. „Deutschland wird dir gefallen", meinte er, und so heißt die Autobiographie des Autors. Am Donnerstag wird der 63-Jährige das Buch im Gespräch mit Christian Ude vorstellen.

AZ: Herr Seligmann, als Sie 1983 ihren ersten Roman „Rubinsteins Versteigerung" veröffentlichten, sind Sie in eine Lücke gestoßen. Auch heute gibt es nicht viel Belletristik, die sich mit der deutsch-jüdischen Gegenwart beschäftigt.

RAFAEL SELIGMANN: Ich halte an meiner Überzeugung fest, dass man sich die Gegenwart nicht durch die Vergangenheit verstellen lassen darf. Wir leben im Jetzt. Wenn der Begriff „Jude“ fällt, kommen den Menschen hierzulande zwei Assoziationen in den Sinn: Gaskammern und schießende israelische Soldaten. Doch damit wird man den Juden in Deutschland, in ihrer Mitte nicht gerecht. Mir fiel bereits damals auf, dass rund tausend Biografien über den Holocaust veröffentlicht waren, doch kein einziger Roman. Der Roman lebt von der Beschreibung der Gefühle. Was bedeutet: Deutschlands Juden blieben stumm. Und das will keinem Germanisten aufgefallen sein - nicht einmal dem Kritiker Reich-Ranicki, der in Bezug auf jüdische Literatur ein Ignoramus ist.

Als Sie 1957 nach München kamen, wollten Sie zurück nach Israel, eine Sehnsucht, die Sie mit Ihrer Mutter teilten. Ihre Verbindung scheint sehr eng gewesen zu sein.

Das ist die Tradition des jüdischen Matriarchats. Als ich aber später ins Militär wollte, war sie streng dagegen. Das wollte sie wie viele jüdische Mütter in Deutschland mit allen Mitteln verhindern. Sie sagten und klagten, heirate ja keine Schickse! Doch wenn ihr Kind mit 18 Jahren nach Zion wollte, hieß es, um Gottes Willen, du kannst deine Eltern nicht bei den Nazis lassen! Auch bei meiner Mutter.

Sie hatten lange Zeit eine Beziehung zu einer Deutschen und gleichzeitig eine Affäre mit einer israelischen Frau. Auch Ihre anderen „Herzschlampereien“ teilen sie ausführlich mit.

Ich bin überzeugt, eine Autobiografie macht nur Sinn, wenn sie ehrlich ist. Ich habe als Zwanzigjähriger Manès Sperbers „Die Wasserträger Gottes" gelesen: Er beschreibt sein Leben als 20jähriger, referiert über Freud und den Kommunismus. Doch sonst? Mit zwanzig denkt man doch an Sex, an Frauen, an Eros: Ich ende wie jeder Mensch doch nicht am Hals! Ich verrate Ihnen was: Ich bin 63 und denke immer noch daran.

Hätten Sie jemals nachgedacht, einen Roman zu schreiben, in dem jüdische Identität keine Rolle spielt?

Nein. Jetzt, nach dem Sarrazin-Buch erinnern sich die Leute, selbst die Politiker „plötzlich“ an die christlich-jüdische Traditionen dieses Landes und heben sie hervor. Selbst Herr Seehofer! Nun erst wird man sich bewusst, dass ein Teil der deutschen Identität jüdisch ist. Meine deutsch-jüdische Identität fühle und beschreibe ich in meinen Büchern.

Sie haben in Ihrer Doktorarbeit 1982 über die Sicherheitspolitik Israels geschrieben, und stellten fest, dass es kein klares Konzept gäbe.

Es ist seitdem schlechter geworden. Das konnte man im Libanon-Krieg vor 4 Jahren beobachten ebenso im Gaza-Krieg. Obgleich sich Israel in einer extremen Bedrohungssituation befindet, besitzt es kein klares Konzept, wie es seine Sicherheit verteidigen und auch international darstellen will. Man hat einen Außenminister, der international nicht vorzeigbar ist. Es gibt im arabischen Raum genug Platz für einen jüdischen Staat und einen palästinensischen Staat. Man muss einen Kompromiss untereinander finden und sollte das der Weltöffentlichkeit erklären.

Sie haben 1998 Bayern gen Berlin verlassen, weil Sie sich hier nicht mehr wohl fühlten. Welche schönen Seiten können Sie München denn noch abgewinnen?

Sehr viele! München ist eine wunderschöne Stadt, meine besten Spezln leben dort. Ich sehne mich so nach der bayerischen Landschaft, dass ich die Sommerferien meistens im Chiemgau verbringe. Doch in München existieren Selbstgerechtigkeit und Einäugigkeit. Das bekommt man als jüdischer Schriftsteller zu spüren. In München ist hier lediglich die jüdische Literaturhandlung maßgebend. Frau Salamander hat ihre Meriten, doch sie besitzt nicht den Stein der Weisen. In Berlin existieren widerstreitende Stimmen, was Vielfalt erzeugt. Das kommt in München zu kurz.

Michael Stadler

Rafael Seligmann „Deutschland wird dir gefallen“ (Aufbau, 461 Seiten, 24.95 Euro). Lesung am Donnerstag, 19.30 Uhr im Jüdisches Gemeindezentrum am St.-Jakobs-Platz 18.

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