Herzensaufschrei
Pfingstfestspiele Salzburg: Muti und Jommellis Barockoper „Demofoonte“
Am Ende des zweiten Akts geschieht ein Wunder: In höchster Lebensgefahr öffnet Dircea ihrer Rivalin Creusa das Herz. Ihr eigenes Schicksal sei gleichgültig, doch der Geliebte soll gerettet sein. „Die Arie darauf", schrieb der italiophile Literaturkraftmeier Wilhelm Heinse, „ist allein eine Oper wert: so voll weiblicher Grazie und tragisch zugleich".
Auch nach zwei Jahrhunderten wirkte ihr Zauber noch. Aber der Weg dahin war eine harte Prüfung. Die gestrenge Ouvertüre mit ihren Abwegen wie in einer frühen Haydn-Symphonie wirkte noch erfrischend unkonventionell. Dann ermüdeten eineinhalb Akte edel geschneiderte Bravourarien, in dem nur ein wildes Terzett samt Racheschwur extravaganter tailliert wirkte. All dies steigerte die Wirkung dieser schlichten Arie, deren zarte Ornamente auch dank der Sängerin Maria Grazia Schiavo als Herzensaufschrei den Hörer rührten.
Fürs Repertoire taugt der 1781 zu Neapel uraufgeführte „Demofoonte" von Niccolò Jommelli nicht. Zu kalt lässt die Handlung des Abbé Metastasio, die schon Heinse und andere Zeugen des 18. Jahrhunderts kaum erwähnenswert fanden. Aber in Riccardo Mutis mehrjährigem Seminar zur Musikgeschichte Neapels bei den Salzburger Pfingstfestspielen war die Aufführung ein erhellendes Referat: Wo hört man sonst schon eine Opera seria aus der Zeit zwischen Händel und Mozart?
Den jungen Sängern wurde durchweg Unmögliches abverlangt
Muti hat sich als einziger unter den Großen seiner Generation von Harnoncourt & Co. die Lust an der älteren Musik nicht rauben lassen, obwohl er sich dem historisierenden Stil mit ehrfurchtgebietender Sturheit verweigert. Jommellis klassizistisches Rokoko erklang glatt und ohne jede musikalische Rhetorik. Das auf den eleganten Muti-Mischklang perfekt eingeschworene Orchestra Giovanile Luigi Cherubini verlieh der Musik mit dunklem Streicherklang die Anmutung eines griechischen Tempels in luxuriöser Klavierlackpolitur.
Kaum lohnt es, von der szenischen Gestalt zu berichten. Die auf dem Kopf stehende Architektur von Margherita Palli gemahnte an Maurits Cornelis Eschers optische Täuschungen. Ein Orangenkorb nahe einer Blumen pflanzenden Prinzessin sorgte für Italianitá, und vom Regisseur Cesare Lievi zu einem Marsch mit Koffern über die Bühne gesandte Soldaten lieferten Argumente für den Widersinn allen szenischen Treibens.
Den jungen Sängern wurde durchweg Unmögliches abverlangt. Dimitry Korchak drang als Titelheld in tenorale Stratosphären vor. Noch höher hinauf musste der an Münchens Musikhochschule ausgebildete Counter Valer Barna-Sabadus in einer Rolle, die Jommelli für einen Soprankastraten komponierte. Weil Seltenheiten den Festspiel-Luxus erst richtig erglänzen lassen, gaben sich die Muti-Fans im nicht Haus für Mozart Jommelli hin, als habe der Lokalheilige zur Notenfeder gegriffen.
Robert Braunmüller