Herrlich am Chiemsee

Dirigent Enoch zu Guttenberg wagt bei den Herrenchiemsee Festspielen sein Schostakowitsch-Debüt - und gewinnt. Sein Erfolgsrezept sind die Kenntnisse der historischen Aufführungspraxis.
von  Abendzeitung

Dirigent Enoch zu Guttenberg wagt bei den Herrenchiemsee Festspielen sein Schostakowitsch-Debüt - und gewinnt. Sein Erfolgsrezept sind die Kenntnisse der historischen Aufführungspraxis.

Dass Enoch zu Guttenberg ein vortrefflicher Interpret von Dmitri Schostakowitsch ist, hat man eigentlich immer geahnt. Denn wer ein derart glückliches Händchen für Anton Bruckner, Ludwig van Beethoven oder Gustav Mahler hat, braucht den sowjetischen Komponisten nicht zu scheuen.

Doch erst jetzt folgte bei den Herrenchiemsee Festspielen Guttenbergs Schostakowitsch-Debüt: Mit Yorck Felix Speer (Bass), dem Orchester der KlangVerwaltung und dem Männerchor aus Neubeuern gestaltete er die 13. Sinfonie von 1962. Sie vertont Gedichte von Jewgeni Jewtuschenko. Herausgekommen ist ein unvergessliches Ereignis.

Kenntnisse der historischen Aufführungspraxis

Auch hier nutzte Guttenberg sein Erfolgsrezept: Kenntnisse der historischen Aufführungspraxis stoßen auf Emotionalität. Klang und Form werden so transparent wie möglich gehalten, Kontraste und Effekte geschärft. So wurde in der Dreizehnten das Grauen nicht versachlicht, sondern verlebendigt. Und das Grauen ist vielfältig.

So erinnert der Kopfsatz „Babi Yar“ an die gleichnamige Schlucht bei Kiew, in der 1941 über 33700 Juden von Deutschen niedergemetzelt wurden. Jede Form von Antisemitismus wird angeprangert, die anderen Sätze schlagen die Brücke zur sowjetischen Realität: In „Ängste“ etwa vertonte Schostakowitsch auch seine eigene Lebensgeschichte unter Stalin.

Guttenbergs Deutung hat nichts vertuscht, sondern mit brutaler Konsequenz offengelegt. Dabei hat er sich für die deutsche Fassung der Sinfonie entschieden: Schostakowitsch hat stets für Aufführungen seiner Vokalwerke in der jeweiligen Landessprache plädiert. Denn er wusste, wie wichtig die Verbindung von Wort und Musik ist.

Interpretation von Motiven und Klängen

Hier legte Schostakowitsch auch für seine Instrumentalwerke offen, wie er bestimmte Motive und Klänge verstanden wissen wollte. Wer dem nachgeht, stößt auf eine eindeutige Musik. Guttenberg hat dies verinnerlicht.

Mit Speer und dem Chor waren feinsinnige Wortgestalter zu erleben. Dass mit Speer ein Enkel des NS-Architekten Albert Speer sang, gab der Aufführung eine besondere Note. Speer wollte das Werk unbedingt singen. Hat er Frieden gefunden? „Nein“, sagte er auf Nachfrage.

Bislang gab es nur eine Referenzaufnahme der Dreizehnten, nämlich die mit dem Chor und Symphonieorchester des BR unter Mariss Jansons (EMI). Sollte sich Guttenbergs Label „Farao“ für eine CD entscheiden, käme eine zweite hinzu.

Marco Frei

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