Herbert Grönemeyer tanzt im Regen
Beim Grönemeyer-Konzert besteht nie die Gefahr, dass das alles zu monumental werden könnte. Weil im Zentrum "Herbie" steht. Der Mensch. Die Rampensau.
München - Der große Konzert-Moment, er kommt vielleicht gerade dann, wenn die Kontrolle sausen geht. Wenn der Druck ein wenig abgelassen wird, und es egal ist, ob jeder Ton sitzt. Hauptsache, der Star und seine Band sind präsent. Im Hier und Jetzt. Genauso wie die Fans.
Das Schöne bei Herbert Grönemeyer ist, dass er diese lockeren Momente immer wieder zulässt, nein, provoziert, ziemlich oft sogar bei seinem München-Konzert im nicht vollen, aber ordentlich gefüllten Olympia-Stadion. Da hieß es Leinen los, bei „Mensch“ etwa, wo der große Band-Sound plötzlich schrumpft, die Gitarre stark nach Reggae klingt, und Grönemeyer nur noch improvisiert. Irgendwelchen dadaistischen Unsinn von sich gibt und, die Arme erhoben, irgendwie tanzt, während die Fans irgendwas mitsingen oder einfach nur zuhören. Diese Atmosphäre an diesem Abend - „da schreit das Herz“, meinte er kurz zuvor.
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So ein Konzert, so eine Stimmung, die kann sich auch verselbstständigen, und da muss er beim zweiten von drei Zugaben-Blöcken mal kurz seine Ansage für „Flugzeuge im Bauch“ unterbrechen, weil im Stadion noch die Laola-Welle weiterrollt, über die Ränge, durch das stehende Publikum vor ihm. Und Grönemeyer nimmt sich Zeit und schaut zu. Entspannung, und die steht natürlich im Kontrast zu der rockigen Hansdampf-Ausrichtung, mit der er ins Konzert startet. Gleich mal die ersten drei Lieder aus seinem neuen Album herausgepresst, zuerst der Titelsong „Schiffsverkehr“, dieses merkwürdig eingängige e-moll-as-moll-Wechselspiel, das nach Progressive Rock klingt und nach Darmverstimmung und dann doch nach Grönemeyer. Dieser Start ist natürlich eine klare Ansage: Dass alles Neue ebenfalls seinen Platz im Programm, in seinem Repertoire finden wird, sei es auch, dass manche mit dem härteren Klang noch nicht ganz Freund geworden sind.
In seinen roten Turnschuhen, seinem dunklen Anzug und seiner immer wieder geballten, wackelnden Grönemeyer-Faust wird er zum überzeugenden Fürsprecher aller Ausflüge in Rammstein-Gebiete – die anderen Hits brauchen sowieso keinen Anlauf zum gegenseitigen Warmwerden mehr. Bei „Bochum“ schmuggelt er natürlich auch mal ein „München“ hinein, und alle sind aus dem Häuschen. In der Menge wippen „Bochum“-Schals. Heimat, überall.
Bei „Zeit, dass sich was dreht“, der WM-Hymne von 2006, macht sich das Olympiastadion natürlich besonders gut fürs Mitsingen. Statt „olé, olé“ einfach ein „was dreht, was dreht, was dreht“. Nur einmal wird der 55-Jährige politisch, schimpft auf die USA, die gerade jene Taliban einst gegen Russland aktivierten, die sie heute im Afghanistan-Krieg bekämpfen. „Auf dem Feld“, das Lied aus Soldatenperspektive, auch das könnte ein Ohrwurm werden.
Optisch überwiegt das Schiffs-Ambiente, das motivisch sein jüngstes Werk bestimmt: die Flachbildschirme als Segel, die Rampe von Laternen gesäumt. Eine Art Hafenpromenade, auf der er flanieren, rennen, tanzen kann. Und gegen Ende kühlt die Temperatur auch ein wenig ab, wird nordisch, und dann scheint Grönemeyer auch noch das Wetter für seine Dramaturgie eingespannt zu haben. Er singt „Lass es uns nicht regnen“, und Blitze durchfahren den Himmel, ein Regenguss als Widerspruch und doch passende Begleitung zum melancholischen Beziehungs-Song.
Und dann lässt er noch mal alles fahren, brennt mit seiner großen, souveränen Band „Mambo“ auf Speed ab und bleibt natürlich nicht im Trocknen, sondern geht hinaus. Tanzt im Regen. Ja! Und bei aller groß angelegter Licht-Show, den Lasern und Videos, die auch noch zu sehen waren, gab es nie die Gefahr, dass das hier alles zu perfekt oder monumental werden könnte. Weil im Zentrum Grönemeyer steht. Der Mensch. Die Rampensau. Der Mann, der bei dem Egomanen-Country-Schunkler „So wie ich“ seine Gitarre umzieht und meint: „Bisschen verstimmt. Aber macht nichts.“ Stimmt. Da kann doch das Herz einfach nur vor Glück schreien.
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