Heldentum in Unterhosen
Regisseur Armin Petras wagt Heinrich von Kleists heikle „Hermannsschlacht“ und mixt Christian Dietrich Grabbe dazu. An den Kammerspielen ist heute Premiere
Nur „Robert Guiskard“ wird von Kleists Stücken noch seltener gespielt als „Die Hermannsschlacht“. Beide Dramen hat Armin Petras in diesem Jahr auf die Bühne der Kammerspiele gebracht. Im März inszenierte er „Guiskard“ als Doppelabend mit Goldonis „Krieg“, heute hat „Die Hermannsschlacht“ Premiere. Peter Kurth vom Berliner Gorki-Theater, das Petras seit 2006 leitet, spielt den Cheruskerfürsten Hermann, Wiebke Puls seine Gattin Thusnelda.
Armin Petras inszeniert derzeit viel Kleist – in Berlin, München und anderen Städten. 2011 jährt sich Kleists Todestag zum 200. Mal, und dazu veranstaltet Petras am Gorki-Theater ein Festival mit allen Kleist-Stücken (darunter Koproduktionen und Gastspiele seiner Auswärts-Inszenierungen, auch der Münchner), mit Ausstellung, Grabpflege und einem Kleist-Parcours. Aber auch ohne Jubiläum hat der Regisseur ein besonderes Interesse an Heinrich von Kleist: „Für mich ist er sprachlich der beste deutsche Dramatiker“, sagt der 46-Jährige. „Er setzt Konflikte und Figuren am schärfsten gegeneinander. Jede seiner Figuren schlägt über die Stränge, und Kleist sucht immer eine Mittelstraße. Auch dass er als brandenburgisch-preußischer Autor die Gegend, aus der ich stamme, beschreibt, verbindet mich mit ihm.“
Kleist schrieb sein Drama 1808 während der napoleonischen Kriege, nachdem Preußen eine Zwangsallianz mit Napoleon geschlossen hatte. Petras sieht drei Ebenen im Stück: Erstens die historische Schlacht im Teutoburger Wald im Jahr 9 n. Chr. Da lockte der Cheruskerfürst Hermann die römischen Besatzer, denen er ein Bündnis vorgaukelte, in einen Hinterhalt und schlug sie vernichtend. Zweitens das politische Tendenzdrama: „Kleist entwarf die Idee eines Partisanenkrieges, wie ihn damals die Spanier gegen Napoleon führten. Wie immer war er mit seinen Ideen zu früh dran. Erst nach seinem Tod entwickelte sich 1813 eine nationale deutsche Widerstandsbewegung.“ Drittens den Missbrauch durch die Nazis, die die Hermannsschlacht als Geburtsstunde Germaniens feierten.
National in jedem Fall
Auch Christian Dietrich Grabbe schrieb 1836 eine „Hermannsschlacht“, die im Dritten Reich als „Führerdrama“ galt. Kleist ging es um den antinapoleonischen Widerstand, Grabbe betont die nationalen Unterschiede zwischen Römern und Germanen. „Grabbe ist 24 Jahre jünger als Kleist, er hat quasi schon aus frühkapitalistischer Sicht geschrieben, dass die Römer als Ausbeuter kommen“, sagt Petras. Er hat in seine stark gekürzte Kleist-Fassung aus Grabbes Drama vier Monologe Hermanns eingebaut.
Schlachtengetümmel und Kriegsgemetzel hat Petras gestrichen. Die Bärin, von der Thusnelda ihren römischen Anbeter Ventidius zerfleischen lässt, wird man sehen – aber nicht als Tier. „Thusnelda wird selbst vor Hass zur Bärin“, erklärt Petras. „Das so zu zeigen, wäre zu Kleists Zeiten undenkbar gewesen. Aber das ist ja das Spannende, wie Theater Übersetzungsarbeit leisten kann.“
Seinen Intendantenvertrag am Gorki-Theater hat er um fünf Jahre verlängert. Künftig will der rastlose Vielarbeiter nur noch drei bis vier Mal jährlich inszenieren, nicht mehr wie bisher sieben oder acht Mal. Daneben gibt es noch sein Alter Ego, den Dramatiker Fritz Kater. Petras amüsiert sich über dessen Erfolg: „Langsam muss ich mich mehr mit Diplomarbeiten über Fritz Kater beschäftigen als mit dem Autor. Obwohl es viel häufiger gespielte Dramatiker gibt wie Roland Schimmelpfennig oder Dea Loher, hat Kater offenbar die Einzelstellung, dass kein anderer solche Geschichten schreibt. Bisher gibt es alle zwei Jahre ein neues Stück von ihm, und das bleibt hoffentlich so.“
Fritz Kater treibt das ost-westdeutsche Spannungsverhältnis an und um, und auch der „gelernte DDR-Bürger“ Petras will mit Kleist ein aktuelles Deutschland-Bild befragen: „Wer sind wir? Sind wir überhaupt eine Nation? Oder nur, wenn Fußball-WM ist? Braucht es überhaupt noch eine Nation?“
Gabriella Lorenz
Kammerspiele, Freitag, 20 Uhr, Tel.23396600