Hans W. Geißendörfer: „Bayern sind wie Amerikaner“

Zum 68. Geburtstag eines Alt 68ers: "Lindenstraßen"-Erfinder Hans W. Geißendörfer zieht es zurück nach München. Mit seiner Firma gff setzt er vermehrt aufs Kino
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Zum 68. Geburtstag eines Alt 68ers: "Lindenstraßen"-Erfinder Hans W. Geißendörfer zieht es zurück nach München. Mit seiner Firma gff setzt er vermehrt aufs Kino

AZ: Herr Geißendörfer, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Gibt’s heute noch eine große Feier?

HANS W. GEISSENDÖRFER: Nein, ich werde den ganzen Tag mit meiner Frau in unserem Uralt-Jeep sitzen. Wir fahren nach Rhodos, wo wir ein kleines Häuserl haben.

Aber ein besonderes Geburtstagsgeschenk haben Sie sich selbst gemacht: Sie kehren mit ihrer Produktionsfirma gff nach München zurück.

Ja, wir sind mit dieser Idee lange schwanger gegangen. Und jetzt, da wir einige bayerische Projekte planen, kommen wir zurück.

Warum sind Sie denn überhaupt weggegangen?

Die „Lindenstraße“ hat uns dazu gezwungen. Zuerst sollte die ja mit dem Bayerischen Rundfunk realisiert werden, aber auf dem BR-Gelände gab es zu wenig Platz und wir sind zum WDR in Köln ausgewichen. Dass die „Lindenstraße“ in München spielt, habe ich mir aber nicht nehmen lassen.

Was gefällt Ihnen denn an München?

Im Vergleich zu Köln ist München wärmer und lässiger. Man kann sich in ein Café setzen und kommt viel schneller in Kontakt zu den Leuten.

Die Kölner erzählen das immer genau anders herum...

Aber die Rheinländer bleiben unter sich. Die Bayern dagegen sind so ein bisserl wie die Amerikaner, bei denen ist man schnell dabei und kann auch wieder gehen.

Nervt auch was an München?

Ja, der Stenz, der Übermünchner, der gleichzeitig Bayer und Amerikaner sein will.

Fehlt der Stenz deshalb auch in der „Lindenstraße“?

Nein, es ist gar keine schlechte Idee, über so eine Figur nachzudenken. Wir sind, was echte bayerische Figuren betrifft, ja etwas schwach auf der Brust.

Der Tod von Else Kling hat da eine große Lücke gerissen?

Ja, ich sehe ja eine große Tugend des Bayerischen im Grantler. Der bayerische Widerständige, der manchmal gar nicht so genau weiß, warum, aber ganz genau, dass ihm was nicht gefällt. Deshalb grantelt er und versucht’s vielleicht sogar zu verändern. Diese, wenn man so will, Art Shakespearescher Clown ist uns mit Else weggestorben.

Aber war die nicht ein bisserl zu konservativ?

Man kann doch den Bayern nicht verübeln, dass sie konservativ sind. Das hat mit allem zu tun – auch mit der Landschaft, den Bergen, dem Volkslied und den Riesentraditionen. Selbst das Essen, der Leberkas und die Weißwürste, sind konservative Dinge.

Ja, aber selbst eingefleischten „Lindenstraßen“-Fan hat die konservative Helga Beimer ganz schön genervt.

Früher war sie ja auch doofer. Aber mit den Jahren ist sie gereift. Heute ist Helga, die vor 20 Jahren nicht glücklich damit war, dass ihr Sohn Benny Stromausfälle organisiert hat, selbst Umweltkämpferin. Sie ist moderner geworden. Auch Marie-Luise Marjan hat sich als Persönlichkeit entwickelt.

Sie wollen mit der „Lindenstraße“ deutsche Realität aufgreifen und reflektieren. Übernehmen diese Funktion heute nicht Reality-Formate?

Heute wurde doch alles schon auf allen Kanälen gemacht. Mit sogenannten Tabuthemen kann man keine große Aufmerksamkeit mehr erreichen. Bei unserem ersten Schwulenkuss waren die Reaktionen so, da musste man schon fast Angst haben, verboten zu werden. Heute müsste man für eine Reaktion vielleicht brutal ein Tier schlachten.

Aber so ein kleiner missionarischer Anspruch ist heute auch noch dabei, oder?

Klar, das kann ich aus mir nicht rausbügeln. Wir 68er waren halt missionarisch. Und ein bisserl was haben wir ja auch verändert, wenn auch manches zum Schlechten.

Was denn?

Mit der antiautoritären Erziehung wurde ganz schön viel Mist gebaut.

Angelika Kahl

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.