"Hamlet" im Nationaltheater
Manche Weine reisen schlecht. Auch Opern und ihre Inszenierungen vertragen Ortswechsel nicht immer gut. Brett Deans "Hamlet" war in Neil Armfields Inszenierung vor sechs Jahren ein großer Erfolg in Glyndebourne. In der Bayerischen Staatsoper verbreitet das Werk ohne Pausen-Picknick und Landadel-Attitüde gepflegte Langeweile. Shakespeare wird Szene für Szene und Zitat für Zitat tapfer abgearbeitet. Aber bis zum Ende wird nicht klar, warum einen im Sommer 2023 die Neurosen des dänischen Königshauses interessieren sollte.
Die Oper ist - leider - ein tönendes Reclamheft. Das ist bei einem so vieldeutigen Stoff keine Lösung, jedenfalls nicht vor dem Hintergrund der deutschsprachigen Tradition, die Theater im Unterschied zum britischen Umgang mit Klassikern nicht als Textmuseum versteht.
Nur Hamlet selbst gewinnt in Matthew Jocelyns Fassung Profil: als sarkastischer Phlegmatiker. Warum so jemand ein Virtuose des Floretts sein soll und noch dazu im Zeitalter des Smokings, kann auch der famose Allan Clayton nicht deutlich machen. So steht's halt bei Shakespeare, möge man ihn fragen, warum. Die Oper und ihr Regisseur haben dafür jedenfalls keine Antwort.
Ein ironischer Hamlet ist aber, wenn man nicht Dmitri Schostakowitsch heißt, kaum in Töne zu übersetzen. Dem Australier Brett Dean ist zwar hoch anzurechnen, dass er opernhafte Konventionen und gestische Musik fast zwanghaft meidet. Nur: Was ist seine Alternative? Er unterlegt den Sprechgesang mit blubbernden Klangflächen, bei denen oft kaum zu sagen ist, welche Instrumente diesen fast elektronischen Sound hervorbringen.
Musikalisch hat es viel für sich, wie diese Klänge vom achtköpfigen Ensemble rheinstimmen echoartig im Orchestergraben weitergeführt werden, ehe sie sich teilweise dank einer weit verteilten Bühnenmusik im Raum verlieren und man bisweilen nicht mehr weiß, wo sie herkommt. Manchmal sind diese Wirkungen in ihrer irisierenden Farbigkeit sogar faszinierend. Nur: Das alles bleibt eine sehr unspezifische Klangkulisse, und über die Figuren erzählt es nichts.
Kurz vor der Pause, wenn Claudius (Rod Gilfry) zu gepresst klingenden Trompeten von schlechtem Gewissen überfallen wird, entwickelt sich ansatzweise eine Opernszene. Ganz am Ende, wenn alle fast tot sind, riskiert Dean mit aller gebührenden Vorsicht eine Cellokantilene. Das reicht immerhin aus, nach zweieinhalb Stunden Klangkulisse das Finale einigermaßen zu retten. Aber sonst bleibt dieser "Hamlet" die typische Oper eines Instrumental-Komponisten, dem das Theater im engeren Sinn egal bis verdächtig ist. Und wenn es bedeuten soll, dass sich alles im Hamlets Kopf abspielt, müsste man es auch so inszenieren.
Eine der besseren Ideen ist es, den Geist, den ersten Schauspieler und den Totengräber zu vereinen und mit dem ehrwürdigen John Tomlinson zu besetzen. Natürlich redet der Geist wieder zu viel, was schon Mozart wenig theatergerecht fand. Mit der Musik aus dem Orchester harmoniert und kontrastiert der Akkordeonist, der das wie üblich als Klamotte inszenierte Theater auf dem Theater begleitet.
Alle Figuren haben dank weißer Schminke etwas von Clowns. Polonius (Charles Workman) ist der übliche Schwätzer, Rosenkrantz und Guildenstern wie üblich ein albernes schwules Duo. Caroline Wettergreen muss Ophelia vor der Pause als Püppchen spielen, danach wird sie nach den üblichen Regeln der Kunst des dramatischen Koloraturgesangs und der Hamlet-Tradition wahnsinnig. Sogar eine Flöte ("Lucia di Lammermoor"!) taucht kurz aus dem Klangbrei auf. Aber eine der Gegenwart angemessene Sicht auf diese Figur wird nicht deutlich, und Hamlets Aufschrei, er habe sie geliebt, ist nach allem, was man davor gesehen hat, absolut unverständlich.
Die Aufführung vereint weitgehend ein aus Glyndebourne perfekt eingespieltes Ensemble. Es hat teilweise mit der Größe des Nationaltheaters zu kämpfen. Denn die Textverständlichkeit bleibt mäßig. Rein musikalisch ist alles perfekt: Vladimir Jurowski, der bereits die Uraufführung dirigierte, hält als souveräner Klangregisseur die Bühne und das Bayerische Staatsorchester zusammen.
Bedenklicher scheint der moderne Operngeschmack des Generalmusikdirektors. Die aufwendige Aufführung ist ebensowenig repertoiretauglich wie die ebenso aufwändigen "Teufel von Loudon" des Vorjahres. Und es ist ein offenes Geheimnis, dass "Hamlet" als Ersatz für Brett Deans unfertige Oper "Two Queens" über Maria Stuart und Elizabeth I. fungiert, was eher als Drohung zu verstehen ist.
Der unterschätzte "Hamlet" von Ambroise Thomas aus dem 19. Jahrhundert hätte womöglich mehr über die Figur erzählen können. Oder gleich Wolfgang Rihms "Hamletmaschine" nach Heiner Müller, die sich halbwegs auf dem Stand der deutschen Hamlet-Wahrnehmung befindet, statt das Münchner Publikum ins britsche Theatermuseum zu entführen.
Nationaltheater, wieder am 1., 5., 9. und 12. Juli, Karten unter staatsoper.de