Grubi zückt den Geigerzähler

Erst stellte Fukushima die siebte Japan-Tournee der Bayerische Staatsoper in Frage – jetzt ging doch alles ganz entspannt über die Bühne. Und zur Not sorgt das Strahlenmessgerät für Gelassenheit
Volker Boser |
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Weltstar Edita Gruberova hatte ein eigenes Strahlenmessgerät dabei. Bariton Paolo Gavanelli war gar nicht erst mitgeflogen. Er bekam es mit der Angst zu tun, was aber in seinem mit der Bayerischen Staatsoper abgeschlossenen Vertrag nicht als Rücktrittsgrund vorgesehen ist. Also zog er sich eine Mittelohrentzündung zu. Doch Opernchef Nikolaus Bachler glaubt ihm nicht. Jetzt geht es vor Gericht.

Wegen der Katastrophe von Fukushima stand die siebte Japan-Tournee der Münchner Oper vor einigen Problemen. Von den geplanten 400 mitreisenden Künstlern, Musikern und Bühnenarbeitern blieben etwa 100 zu Hause. Sie mussten unbezahlten Urlaub nehmen. Im Chor und im Orchester ist jeder Zweite ein Gastarbeiter.

Meiers Ortrud ist immer noch phänomenal

Auch wenn die Offiziellen das nicht so gerne hören mögen: Gelegentlich merkte man es schon – weniger bei Donizettis „Roberto Devereux” als bei Wagners „Lohengrin”. Daran nicht ganz unschuldig war Chefdirigent Kent Nagano, der in der wunderbaren Suntory Hall die vierte Symphonie von Brahms zu einer Musik für Schildkröten verwandelte: Das klang wie auch manches im „Lohengrin” spannungslos und nahezu lethargisch.

Die Ungereimtheiten der „Lohengrin”-Inszenierung von Richard Jones ertrug das japanische Publikum mit Fassung. Der Beifall danach war herzlich, aber nicht euphorisch. Gefeiert wurden vor allem Waltraud Meiers noch immer phänomenale Ortrud und der über sich selbst herauswachsende Johan Botha in der Titelpartie. Sogar Musiker kamen ins Schwärmen: „Alles, was Jonas Kaufmann spielt, das singt Botha”, meinte ein Geiger wenig galant. Der Münchner Tenor musste bekanntlich wegen einer Operation zuhause bleiben.

Weil man in Japan schon immer alles genau wissen will, lud die Tokioter Richard-Wagner-Gesellschaft zu einem Symposium über das Thema „Wagnerstadt München” in das Goethe-Institut. Nikolaus Bachler wagte Widerspruch: „Eine Wagnerstadt ist jede Stadt, in der Wagner aufgeführt wird”, und setzte noch eins drauf, in dem er Gustav Mahler zitierte: „Tradition ist Schlamperei”. Die beiden japanischen Professoren auf dem Podium lächelten fernöstlich milde.

Stimmung wie bei den Sumo-Ringern

Zu einem Hauskonzert in der Deutschen Botschaft hatte sich Kronprinz Naruhito angesagt. Wohl deshalb war den mitreisenden Journalisten streng verboten worden, darüber zu berichten. So viel darf hoffentlich sein: Der Staatsopernchor sang zur Klavierbegleitung ziemlich unpassend den „Wach auf”-Chor aus den „Meistersingern”. Der Sinn der Veranstaltung mag sich darin finden, dass es „150 Jahre deutsch-japanische Freundschaft” zu feiern gilt – eine Liaison, bei der klassische Musik wohl ohnehin nur eine Randerscheinung ist.
Dass die Tournee trotz aller widrigen Umstände doch noch zustande kam, freut insbesondere den Intendanten. Mit seinem Vorschlag, den Japan-Verweigerern „unbezahlten Urlaub” aufzubrummen, ging er einen riskanten Weg – und gewann: „Es ist eine tolle Stimmung hier”, schwärmt er, „wie bei den Sumo-Ringern.”

Nikolaus Bachler nennt es „Psychologie”, wenn man ihn auf die furchterregenden Formulierungen in der jedem Teilnehmer ausgehändigten Reisebroschüre anspricht. Die Mahlzeiten im Hotel werden stichprobenartig auf ihre mögliche Radioaktivität überprüft. Man hat Trinkwasser mitgebracht. Pro Tag und Mitarbeiter stehen bis zu drei Liter zur Verfügung. „Ich verstehe nicht, was da abgeht”, wundert sich eine Geigerin belustigt – und weist darauf hin, dass das Wasser kaum in Anspruch genommen wird. Die japanischen Gastgeber hat man mit solchen Aktionen vor den Kopf gestoßen. Doch der Intendant rechtfertigt sich: „Angst ist eben ein wichtiger Faktor. Mir kommt es darauf an, dass die Leute das Gefühl haben, es wird alles getan.”

Nur einer gab sich verschlossen. Kent Nagano, der amerikanische Dirigent, der aussieht wie ein Japaner, aber kein Wort Japanisch spricht, gestattete der mitgereisten Presse knappe acht Minuten während einer Pause zu Donizettis „Roberto Devereux”. Mit buddhistisch anmutender Gelassenheit fand er die Worte: „Es ist schön hier. Die Atmosphäre ist erstaunlich. Es gibt nur einen Staatsorchesterklang. Die Aushilfen stören nicht. Ich habe Verständnis für die, die nicht mitgekommen sind.” Noch Fragen? 

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