Glyptothek: "Iphigenie in Aulis"
Die Liste der Übersetzer reicht vom Weimarer Klassiker Friedrich Schiller bis zum Wiener Altphilologen Walter Stockert. Die Besetzungsliste wiederum ist kurz: Tomma Galonska spielt alle Figuren der Tragödie von der Heldin bis zum Chor.
Die Schauspielerin montierte aus den verschiedenen Übersetzungen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert eine lebendige Spielfassung von "Iphigenie in Aulis", die in der Inszenierung von Alex Novak und dem vielfältig gestimmten Klangraum von Nathanael Turban im Innenhof der Glyptothek aufgeführt wird.
So ist Galonska auch Iphigenies Vater Agamemnon. An den Kostümen von Susanne Hofmann erkennt man das Personal, und der schlecht gelaunte Feldherr trägt einen halblangen schwarzen Mantel mit integriertem Rucksack. Das Alpha-Tier hadert mit seiner gehobenen Position und beneidet jeden Mann, "der ohne Namen und Würde sein Leben durchmisst". Ein solcher würde niemals von Göttin Artemis den Auftrag erhalten, seine Tochter zu opfern. Das ist die Bedingung für das Ende einer Flaute, die Griechenlands Kriegsflotte in Aulis festhält und den Feldzug gegen Troja bisher verhindert.
Agamemnon lädt Iphigenie mit dem Vorwand ein, sie werde Achilleus heiraten. Mit einem zweiten Brief will er aber verhindern, dass sie und seine Frau Klytämnestra nach Aulis reisen. Doch Menelaos, Agamemnons Bruder, fängt das Schreiben ab. Achilleus wiederum ist zwar einer der tapfersten Krieger, gehüllt in einen fleischfarbenen Anorak mit Six-Pack-Schnitt, aber auch sensibel: Zum einen will er seinen guten Namen nicht für ein derart böses Spiel hergeben, zum anderen fordert er eine gewaltfreie Lösung des Konflikts.
Vaterliebe und Kriegsführung führen zu einem unauflöslichen Widerspruch. Schon Euripides brachte ihn vor 2500 Jahren nur durch göttliches Eingreifen zu einem versöhnlichen Ende. Bis dahin herrscht diskursfreudige Rhetorik. Eine der Glanznummern Galonskas ist die Klage der Klytämnestra im magenta-grellen Rock. Voller Zorn bringt sie Untaten der Männer gegen die Tötung der Tochter in Stellung und schlägt vor, dass doch Menelaos selbst sein Kind opfern solle, denn bei diesem Krieg ging es ja vor allem um dessen Angelegenheiten.
Auch Iphigenie selbst fleht um ihr Leben, überrascht aber dann, als die Lage ausweglos scheint, mit selbstlosem und sich selbst überwindenden Patriotismus: "Hellas geb ich meinen Leib zum Opfer hin. Tötet mich, verwüstet Troja!" Doch Artemis hat schließlich ein Einsehen und akzeptiert das Opfer einer Hirschkuh. Angesichts des sich jeder Argumentation und jedem Friedenswillen entziehenden Kriegsgeschehens in der europäischen Nachbarschaft scheint es, Tomma Galonska traue dem Dea-ex-machina-Finale nicht und lässt den Boten die Nachricht vom Tod der Hirschkuh mit hysterienaher Vergnügtheit mitteilen.
Glyptothek, morgen sowie Mi, Do und weitere Termine bis 16. September, 20 Uhr, ☎ 54 81 81 81
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