Glaube, Liebe, Arbeit
Uraufführung imWerkraum: John Birkes Stück „Armes Ding“ über eine Attentäterin
Inspirationsquelle, so Autor John Birke (27), sei der alttestamentarische Mythos von Judith, die mit dem Mord an General Holofernes dessen Überfall auf ihr Volk verhindert. Als Friedrich Hebbel 1840 seine „Judith“ schrieb, war er fast so alt wie Birke. Mit einer „jungfräulichen Witwe“ hatte er sexuelle Verdrängung als Antrieb und eine vergleichsweise archaische Gesellschaft als historisches Kolorit für die Tat.
Die Mörderin im Auftragswerk „Armes Ding“ der Kammerspiele, uraufgeführt im Werkraum, stellt dagegen fest: „Ich bin das Ergebnis der Aufklärung.“ Spricht’s – und jagt die neue Moschee einer deutschen Stadt in die Luft.
Berufsbild: Opfer
Erklärende Psychologie liefert das Stück vorsätzlich nicht. Die Selbstmordattentäterin und die übrigen Figuren sind Modelle einer Sprechhaltung, wie sie zunehmend im Fernsehen grassiert: In den privatesten Momenten, ob neurotische Kinder ihre Mütter verprügeln oder ein Finanzcoach weinende Schuldner tröstet, ist die Kamera dabei. Die Grenzen zwischen Reportage und Inszenierung verwischen dabei und es entsteht ein Jargon, den John Birke präzise beobachtet und aufgeschrieben hat. Vor allem Sylvana Krappatsch verkörpert ihn buchstäblich, durchzuckt von einem Sprechen wie in fremden Stimmen.
Im zweiten Teil „Liebe“, der der Szene „Glaube“ folgt, spielt sie eine Frau, die ihren Freund, der bei der Rettung eines Kindes aus den Trümmern der Moschee grauenvoll verstümmelt wurde, heiratet. Ihre Story verkauft sie an die Medien. Der dritte Teil trägt nicht den erwartbaren Titel „Hoffnung“, sondern „Arbeit“. In einer Art Satyrspiel entsteht „Opfer“ als Berufsbild mit der festen Überzeugung, der Gesellschaft durch Katharsis zu dienen.
So krude die inhaltliche Zusammenfassung klingt, so wenig ist das Werk ein geschlossenes Theaterstück, eher eine Sammlung von Exposés zum Themenkreis Selbstopferung im Zeitalter von Reality-TV. Die Leistung, daraus eine geschlossen wirkende Erzählung zu machen, ist Regisseurin Felicitas Brucker und den drei Schauspielern Sylvana Krappatsch, Lena Lauzemis und Edmund Telgenkämper erstaunlich kurzweilig gelungen. Doch der Abend bleibt weit unter den Möglichkeiten des Stoffes.
Mathias Hejny
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- Mörder