Glanz und Stumpfheit
Ein Salzburger Festspielwochenende mit Stars: Für Rolando Villazóns Dauer-Stimmkrise entschädigte Gérard Depardieu in Prokofjews Filmoratorium „Iwan der Schreckliche“ unter Riccardo Muti
Singt er oder sagt er ab? In Kopenhagen warf er vor gut einer Woche nach sieben Minuten das Handtuch. Mittlerweile ist der mexikanische Tenor zum unkalkulierbaren Risiko geworden. Was die Pianistin Hélène Grimaud womöglich bewogen haben mag, sich rechtzeitig zurück zu ziehen. „Aufgrund unvorhergesehener Terminschwierigkeiten“ sei es unmöglich geworden, den gemeinsamen Salzburg-Auftritt vorzubereiten. 24 Stunden zuvor konnte man sie auf der Berliner Waldbühne mit einem Klavierkonzert von Beethoven erleben.
Als dann ein junger Mann das Podium des Großen Festspielhauses betrat, der keinerlei Ähnlichkeiten mit Rolando Villazón aufwies, schien das Schlimmste Realität zu werden. Doch er verkündete nur, dass zuerst der zweite Teil des Abends stattfinde und Schumanns „Dichterliebe“ zum Schluss käme – auf diese Weise mogelte sich der Sänger geschickt um die Zugaben. Denn womit wäre dieses Finale zu toppen gewesen?
Statt Hélène Grimaud aus Aix-en-Provence assistierte nun Gerold Huber aus Straubing. Ihm war zu danken, dass der Abend wenigstens für Momente jenes Festspiel-Niveau erreichte, das in Salzburg eigentlich selbstverständlich sein sollte. Rolando Villazón mühte sich. Aber die Stimme hat an Glanz verloren, spricht nur noch schwer an. Immer wieder ertappte man sich beim Daumendrücken. Es war zu spüren, wie der Sänger nach Ausdruck, Klangfarben und Gestaltungs-Varianten suchte. Was in den belanglosen Chansons von Duparc, Tosti, Massenet und Fauré mal gut, mal weniger gelang und am besten in den drei Gesängen des Spaniers Fernando Obradors klappte.
Zu Schumann fehlt Villazón der Zugang. Die 16 Lieder der „Dichterliebe“ sind keine Opernarien, auch keine verkappten. Ob sie nun von zukünftigem Glück oder enttäuschter Liebe erzählen, sie müssen nicht unter der Lupe betrachtet werden. Da gäbe es Einwände wohl auch dann, wenn der Tenor in Top-Form angetreten wäre.
Der Franzose als Russe
Während der Beifall für ihn herzlich, aber nicht allzu überschwänglich ausfiel, prasselte wenige Stunden zuvor an gleicher Stelle geradezu ein Jubel-Orkan auf alle Beteiligten nieder. Riccardo Muti hatte eines seiner Lieblingsstücke, Prokofjews zum Oratorium gedehnte Filmmusik zu Eisensteins „Iwan der Schreckliche“, durchgesetzt – und ein Staraufgebot um sich versammelt. Gérard Depardieu in der Titelpartie servierte die grausamen Pointen dieser Sprechrolle so, wie es sich für einen Weltstar gehört, der weiß, dass er im Rampenlicht steht: emphatisch, pathetisch – und auf Russisch, für dessen Authentizität jedoch nachher keiner seine Hand ins Feuer legen wollte.
Glaubt man dem Urteil einiger russischer Konzertbesucher, hatte der deutsche Jan Josef Liefers als Erzähler das Idiom der fremden Sprache weitaus besser im Griff. Sei’s drum. Es waren aufregende 75 Minuten. Riccardo Muti animierte Philharmoniker und Staatsopernchor aus Wien sowie das Sänger-Ehepaar Olga Borodina und Ildar Abdrazakov zu Höchstleistungen.
Gérard Depardieu, schon zum zweiten Mal in der Mozartstadt als Festspiel-Akteur zu Gast, ist, wen wundert es, auch diesmal glamouröser Mittelpunkt. „Ich hasse Arbeit“, lässt er über die Medien verkünden. In ein paar Wochen steht er wieder vor der Kamera. Nicht als Iwan der Schreckliche – sondern als Rasputin.
Volker Boser
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- Ludwig van Beethoven