Gipfelstürme mit Riesling Hochgewächs
Die Plattenindustrie hätte ihn ganz gerne zum Latin Lover gezupft. Ein bisschen Stenz mit offenem Hemd und Schmachtgschau à la Banderas lassen die Herzen gleich höher schlagen, noch vor dem ersten Ton. Bloß: Juan Diego Flórez kratzt das nicht die Bohne. Im Frack erscheint er zum Arien-Abend, ernsten Blicks, als wolle er ein Hochamt zelebrieren, nur der Schritt immer einen Hauch zu schnittig. So, als müsse er den Applaus schnell hinter sich bringen. Vielleicht auch die halsbrecherischen Kraxeleien, die auf den feingliedrigen Tenorissimo warten.
Aristokratische Noblesse
Es braucht eine Weile, bis sich Belcanto-Leichtigkeit einstellt, hoch konzentriert setzt Flórez Ton für Ton, abgezirkelt noch im Detail, geschmackvoll und mit dieser fast schon aristokratischen Noblesse, in die das Orchester dauernd die Sektkorken knallen lässt. Riesling Hochgewächs, versteht sich. Das Württembergische Kammerorchester unter der launigen Leitung von Alessandro Vitiello – der eigentliche Clou des Konzerts – betört schon in den ersten Ouvertüren-Takten von Cimarosas „Il Matrimonio segreto” mit umwerfender Präsenz. Und Esprit.
Die Philharmonie in Fortissimo-Hochton-Ekstase
Präzise reagieren die Schwaben auf jeden Atemzug, nehmen sich zurück, wenn Flórez zu einer zarten Kantilene ansetzt. Müssten sie gar nicht, der Mann hat Durchschlagskraft, als Rossini-Otello und als „Rigoletto”-Herzog („Ella mi fu rapita!” und das launische Frauenzimmer als Zugaben-Kracher) sowieso.
Überhaupt war es kurioserweise nicht Rossini, mit dem der Held von Pesaro die Philharmonie in Fortissimo-Hochton-Ekstase sang. Sondern Verdi. Und mit „Un giorno di regno” kredenzte Flórez einen frühen, unbekannten noch dazu. Samt herrlich moussierender Ouvertüre. Dagegen konnten die Gipfelsprünge in Donizettis „Regimentstochter” nur noch kalkulierbare Sahnehäubchen sein.
