Gigantische Entdeckung
Berlinale: Gael García Bernal strahlt. Aber nicht alles im Wettbewerb glänzt
Berlin ist nicht Mexico City. Dort hat er sich nicht mehr auf die Straße gewagt. Hysterische weibliche Fans machten ihm das öffentliche Leben zur Hölle. Aber hier, am Potsdamer Platz, stehen sie hinter Absperrgittern. Das verschafft Gael García Bernal erst einmal Luft.
Außerdem ist der Schönling, der schon den feurigen Spitznamen „Sex Mex“ bekam, genau vor einem Monat Vater eines Sohne geworden: „Das hat meine Sichtweise in vielerlei Weise verändert“, sagt der Schauspieler, der mit einer TV-Seifenoper zum Teeniestar wurde, aber im Kino mit einer harten Rolle im Mexiko-Stadtporträt „Amores Perros“ begann und für Almodóvar sogar einen Transvestiten in „Schlechte Erziehung“ spielte. Zum „lateinamerikanischen James Dean“ wurde er, nachdem er dem jungen Che Guevara auf seiner Jugendreise ein Gesicht im Walter-Salles-Film gab.
Jetzt hat der schwedische Autor-Regisseur Lukas Moodysson, geschätzt wegen seiner poetischen Independentfilme über meist jugendliche Außenseiter („Raus aus Amal“, „Lilya-4-Ever“), im Wettbewerb „Mammoth“ präsentiert. In der Hauptrolle: Gael García Bernal.
Gutmenschen auf der Suche nach Erkenntnis
Moodyssons erste Großproduktion schickt seine Protagonisten von New York nach Thailand und auf die Philippinen. Ellen und Leo (Michelle Williams, Bernal) leben im Luxus. Er ist im Website-Geschäft in die Welt des Geldes geraten. Sie engagiert sich als Notfall-Chirurgin. Viel Zeit füreinander und Tochter Jackie (8) haben sie nicht. Dafür aber ein Kindermädchen. Die hat auf den Philippinen ihre zwei kleinen Söhne zurücklassen müssen.
Leo, angewidert vom GlobalBusiness, lässt sich auf einen Aussteiger-Trip ein. Erst als viele kleine Katastrophen passieren, erkennen Moodyssons Gutmenschen, dass ihr Leben fremdbestimmt ist und sie Werte vergessen haben. Es gibt viele tiefe Momente, aber dieses Läuterungsdrama erstickt an seinem Anspruch und an Sentimentalität.
Der sanfte Koloss
Oft sind es daher unspektakuläre Filme, die den Zuschauer beglücken. Das Regiedebüt „Gigante“ des Argentiniers Adrián Biniez, Musiker und Autor, ist so einer. Lapidarer Wort- und Situationswitz, Charaktere mit echten Gefühlen, in ihrer Kargheit bezwingend komponierte Bilder: Ein bulliger Mittdreißiger gehört zum Sicherheitsdienst eines Supermarktes und muss während Nachtschichten alle Überwachungskameras im Blick haben. Die Kollegen schätzen den sanften Koloss, der gerne Kreuzworträtsel löst und über Kopfhörer Heavy Metal hört.
Eines Tages fällt ihm eine neue Putzfrau auf, Julia, ein bisschen ungeschickt und voller Liebreiz. Anfangs beobachtet er sie über Monitore, dann wird er zu ihrem heimlichen Beschützer. Er verfolgt das Objekt seiner rührend keuschen Begierde nach Feierabend. Das sind Szenen von warmherzigem Humor, voller Melancholie. Er beginnt abzuspecken, die Muskeln zu trainieren. Wie ein Gigant, ein schlagkräftiger Comic-Held taucht er auf, wenn es eine Situation zu bereinigen gilt. Den Mut, sich ihr zu offenbaren, hat er – der nette Gigant - lange nicht.
Atmosphärische Dichte
Bertrand Tavernier hat einen nebel- und whiskydampfender Südstaaten-Krimi ins Rennen geschickt: „In the Electric Mist“ mit Tommy Lee Jones als schuldbewusstem Trinker, Vietnamveteran und heimlichem Menschenfreund, aber vor allem Detective, der in Louisiana scheußliche Serienmorde an jungen Frauen aufklären muss und es auch noch mit der Sumpfleiche eines Schwarzen in Ketten zu tun hat. „In the Electric Mist“ drehte Tavernier in den USA mit wunderbaren Schauspielern in atmosphärischer Dichte. Leider stören Fantasie-Szenen den Rhythmus.
Zwei gottlob humorvolle Stunden
Im zweiten deutschen Wettbewerbsbeitrag „Alle anderen“ erzählt Maren Ade (32), Absolventin der HFF, die Geschichte eines jungen Paares, das im Urlaub mit verdrängten Sehnsüchten und Enttäuschungen konfrontiert wird. Architekt Chris (Lars Eidinger) hat Probleme im Job, ein sanfter Zweifler, der viel Zuspruch bräuchte. Gitti (Birgit Minichmayr) dagegen, unternehmungslustig, forsch, fordernd, spielt gerne ihre Überlegenheit aus. Durch die Begegnung mit einem anderen, scheinbar perfekten Paar wird die Liebe der beiden auf eine Zerreißprobe gestellt. Weite Strecken des Films ist Gitti eine ständig überdrehte Nervensäge, Chris ein Langweiler. Gottlob ist der Zweistünder sorgfältig inszeniert und stellenweise humorvoll.
Angie Dullinger
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