Gewalt und Leidenschaft

Zwischen Tanz und Schauspiel, Lust und Schmerz: „Tanguera“, das Tango-Musical aus Buenos Aires, kommt wieder ins Fröttmaninger Zelt des Deutschen Theaters – mit Live-Orchester
von  Abendzeitung

Zwischen Tanz und Schauspiel, Lust und Schmerz: „Tanguera“, das Tango-Musical aus Buenos Aires, kommt wieder ins Fröttmaninger Zelt des Deutschen Theaters – mit Live-Orchester

Als müsste sie sich erst aus ihrer Historie befreien, beginnt die Geschichte des Abends farblos. Schwarz-weiße Bilder flackern über die Bühnenrückwand, die das Hafentreiben der Jahrhundertwende dokumentieren. Menschen am Kai, dazwischen vergilbte Briefe in Schreibschrift, die wohl die Sehnsucht der immigrierten Europäer bebildern. Neunzehntes Jahrhundert also. Buenos Aires. Und Tango.

Der spielt die Hauptrolle in „Tanguera“, einer Tango-Show mit 30 Tänzerinnen und Tänzern aus Argentinien, die 2002 in Buenos Aires uraufgeführt wurde und nun erneut im Deutschen Theater gastiert. Dieses Mal hat der Tango seine eigenen Musiker im Gepäck. Ein einsamer Spot zeigt den Bandoneon-Spieler Lisandro Adrover, der solistisch die Show eröffnet. Gitarre, Geige, Bass und Klavier stimmen in den musikalischen Auftakt ein, bis das Bühnengeschehen an Farbe gewinnt und ein Einzelschicksal beleuchtet – das von Giselle, einer französischen Immigrantin.

Eben erst im berüchtigten Hafenviertel La Boca angekommen, trifft sie auf den Hafenarbeiter Lorenzo. Sie verlieben sich, doch Giselle wird vom kriminellen Gaudencio verführt und zur Prostitution gezwungen. Sie muss sich dem Reglement der Bordell-Mutter und den Zuhältern fügen und glänzt als Tangotänzerin im Cabaret der Unterwelt.

Tango als Ausdruck von Lebensfreude

Der leidenschaftliche Wirbel aus Liebe, Rivalität und Hass wird nicht nur über den Tango ausgetragen, sondern entspricht auch inhaltlich den Gesetzen des Tanzes. Müsste der Tango eine Geschichte erzählen, es wäre die einer tragischen Liebe, in der die Machtstrukturen ständig neu verhandelt werden und der ein glückliches Ende verwehrt bleibt. Von den Bösen als Instrument der Macht missbraucht, ist der Tango unter den Hafenarbeitern Ausdruck von Lebensfreude. Überwiegt das rhythmische Element, sind die Bässe dumpf, haben Gaudencio und seine Männer die Oberhand.

Giselles Schicksal ist mit der Geschichte des Tango verwoben, der sich Anfang des letzten Jahrhunderts aus afrikanischen Rhythmen und europäischen Melodien entwickelte. Wider ihren Willen in ein knappes rotes Stückchen Kleid gezwängt, kann sie sich einem Auftritt im Cabaret nicht widersetzen. Fast zärtlich, in sinnlicher Zuneigung bereitet die Wirtin des Bordells ihr Mädchen auf den zentralen Moment der Show vor, in dem der Tanz zelebriert und Giselles Willen gebrochen wird. Ein Cello-Solo begleitet die ökonomischen Bewegungen des Paares, die in ihrem Minimalismus spannungsgeladen vom Geschlechterkampf erzählen.

Wo immer die Handlung es zulässt, spielt das Sextett live auf der Bühne, in den übrigen Szenen kommt die Musik vom Band. Der verstärkte Sound tritt in ein auf diese Weise ausgewogenes Verhältnis zum Lichtdesign von Ariel del Mastro, das neben dem Spiel mit Licht und Schatten in schillernden Farben die Verlockungen der Unterwelt präsentiert. Das Rot verwandelt sich in pastellfarbene Tupfen, in denen Giselle und Lorenzo ein letztes Tête-à-tête haben, bevor Gaudencio der unschuldigen Liebe ein Ende setzt. Aber da weichen wieder die Farben, und das Paar verschwindet im anonymen Los der Immigranten von La Boca.

Lisa Kassner

Deutsches Theater, Fröttmaninger Theaterzelt, 27. 10. bis 7. 11., Di bis Sa um 20 Uhr, Sa auch 15 Uhr, So 19 Uhr, Mo spielfrei, Eintritt: 28 – 64 Euro, Tel.55 23 44 44

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