Gastbeitrag

Gerhard Polt, der Menschenkenner

Gerhard Polt ist 80. Die Sprachwissenschaftlerin und Kabarettistin Claudia Pichler hat über Polt promoviert und analysiert den Satire-Großmeister für die Abendzeitung.
| Claudia Pichler
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Gerhard Polt - mit Karl (l.) und Michael Well - in "Ekzem Homo" 2015 auf der Bühne der Münchner Kammerspiele.
Gerhard Polt - mit Karl (l.) und Michael Well - in "Ekzem Homo" 2015 auf der Bühne der Münchner Kammerspiele. © imago/DRAMA-Berlin.de

Frisch von der Uni, also jung und schüchtern, durfte ich zum ersten Mal mit Gerhard Polt an einem Buch arbeiten. Zum Glück interessieren ihn Status oder Attitüde nicht. Er begegnet jedem offen und auf Augenhöhe. Über die Jahre wuchs unsere Zusammenarbeit und das Vertrauen.

Schließlich entschloss ich mich, eine Doktorarbeit über sein Werk zu schreiben, was ich ihm zunächst lieber verschwieg. Gerhard weist nämlich grundsätzlich jede Form von Bedeutend-Sein von sich.

Die Analyse der "Poltologin"

Einmal fuhren wir gemeinsam nach Basel. Die Fahrt von München aus dauert gut vier Stunden, und wenn Polt am Steuer sitzt, ein bisschen länger. Zeit genug also, um zu beichten, dass ich sein Werk wissenschaftlich untersuche. Schweigen. Dann Polt: "Warum schreibst denn nicht lieber über den Valentin?"

Als weltweit einzige und selbst ernannte "Poltologin" versuche ich natürlich die Frage zu beantworten: Wie funktioniert er denn nun, der Polt? Was ist die Essenz seiner Kunst? Die imposante Bühnenpräsenz, seine Beobachtungsgabe, spezifische Art, menschliche Widersprüche satirisch bearbeitet zu präsentieren, begründen seine große Wirkung. Menschenhandel, Antisemitismus, Ausländerhass, NS-Verherrlichung, politische Skandale - kein Thema ist für den bayerischen Monolith zu groß, um es nicht mit Präzision ins ganz Kleine zu holen und dort genüsslich zu sezieren. Aus seinem Werk lassen sich einige Prinzipien ableiten, die für seine Kunst substanziell sind.

Authentizität: "Unfassbar, dass es Menschen gibt, die es gibt"

Polt sitzt im Biergarten, weißblauer Himmel, saftig-grüne Kastanienbäume, jeder genießt sein goldgelbes Bier und seine Brotzeit. Es wird geredet, oft wird mehr geredet als zuvor nachgedacht. So fallen inmitten der bayerischen Idylle diese Worte: "Schee is scho bei uns. Aber ein Neger passt da nicht rein - also farblich gesehen." Schon spitzt Polt die Ohren mit seinem satirischen Geist, der in ihm schlummert.

Später legt er diese Aussage dem "Konservator" in den Mund: "Dass wir uns nicht missverstehen! Ich mein's, wie ich's gesagt hab", ergänzt der.

Die Abgründe im Alltäglichen, das Grauen im harmlosen Gewand. Polt schnappt viel auf, im Biergarten, in der Bäckerei, in Amtsstuben, am Ufer des Schliersees oder am Strand von Terracina: Seine Figuren basieren auf realen Vorbildern, spinnen deren Ansichten weiter und treiben sie auf die Spitze.

Er verleiht jeder Figur meisterhaft kunstvoll eine individuelle Sprache und authentisches Auftreten. Allerdings sind es Typen, die Polt erzeugt. Er zielt auf symptomatische Schieflagen innerhalb der Gesellschaft ab.

Nur selten unternimmt Polt Ausflüge ins klassisch politische Kabarett, das Vorgänge konkret thematisiert und sich an Persönlichkeiten abarbeitet.

Aber er widmete sich 1982 bei seinen Auftritt in Dieter Hildebrandts "Scheibenwischer" dem umstrittenen Rhein-Main-Donau-Kanal. Satirische Angriffe dieser Art bleiben allerdings die Ausnahme. Er stellt vielmehr Typen auf die Bühne, die zutiefst menschliche Entgleisungen demonstrieren, solche, in denen wir mühelos Menschen aus unserem Umfeld - oder uns selbst - erkennen können. Was zu Polts Menschenbild führt.

Menschenbild: Im Kind ist auch schon der Tierquäler

Polt ist ein Menschenfreund, er ist fasziniert vom menschlichen Facettenreichtum. Sein Augenmerk gilt aber den lauernden Abgründen, den beiläufig, nicht reflektierten und ohne jedes Schuldbewusstsein vorgetragenen Grausamkeiten.

Dennoch stellt er keine "Monster" aus. Im Gegenteil: Immer bleibt auch eine Sympathie spürbar. Das Monströse ist nach Polts Auffassung im Menschen angelegt, aber eben auch das Einnehmende. Das erschwert es, die dargestellten Typen zu leichtfertig zu verurteilen.

Polt spielt besonders gern mit der Widersprüchlichkeit, die in jedem Menschen ruht, so auch im "Individualist" aus der Serie "Fast wia im richtigen Leben": Er steht in Cowboystiefeln und Fransen-Lederjacke inmitten idyllischer Natur auf einer Waldlichtung und werkelt geschäftig an seinem Chevrolet herum. Dabei schwadroniert er über die Hochkultur zu Zeiten des Tutanchamun und entsorgt nebenher allerlei Müll in der Landschaft. Bei den Worten "des warn Hundling, de ham Kultur ghabt" beispielsweise fliegt ein alter Ölofen in den Weiher. Die eigene Widersprüchlichkeit irritiert den Überzeugungstäter nicht im Geringsten.

Sprache: "Ich hätte das Wort ,wir' gern als Unwort des Jahres"

Gerhard Polt ist ein begeisterter Sprachkritiker. Sprache ist unser Hauptinstrument, die Wirklichkeit abzubilden, aber leider funktioniert das nur bedingt. In der Tradition von Karl Valentin hinterfragt Polt feststehende Redeweisen und Sprachkonventionen und entlarvt so die Unzulänglichkeit der Sprache, die sich vor allem in Plattitüden und Floskeln verbirgt. Hochkomisch diskutiert ein deutsches Urlaubspaar darüber, ob man in Italien im wörtlichen Sinne "vom Boden essen" könne. Rassistische Stereotype werden selbstredend mitserviert.

Sprache ist wie Kleidung. Man merkt schnell, ob ein Mantel sitzt oder nicht. Genauso schnell wird klar, ob sich jemand eines fremden Sprachstils bedient. Im Polt-Panoptikum tummeln sich Figuren, die sich mittels Sprache besser und höher darstellen möchten. Zumeist unterdrücken sie dabei ihren Dialekt, bemühen fremdsprachliche Floskeln oder wissenschaftliche Jargons und scheitern dabei kläglich. Meisterhaft ist das beim Tennisvater in "Longline" zu beobachten, der von "Correctness im Verhalten" und Selbstbeherrschung faselt, diese dabei aber zusehends verliert. Erlösung bringt am Ende die Entladung in einer hemmungslosen bairischen Schimpftirade: "Mir san doch da nicht im Wirtshaus, sondern auf einem Tennisplatz, du Amsel, du blöde. … Sowas wie du gehört doch mit der Scheißbürtschn nausghaut."

Missverstehen: Der Satiriker hält etwas fest, überlässt es aber dir, ob dich das wundert

Das Missverständnis ist ein Wesensmerkmal der Satire. Halbsätze, Auslassungen, Widersprüche oder auch unpassende Reaktionen wie Lachen oder Glucksen - das alles gewährt viel Spielraum für die Interpretation bei Polt.

Seine Form der Satire lässt die Zuhörerschaft bewusst im Ungewissen. So ist es nur folgerichtig, dass einzelne Nummern missverstanden werden. Der Klassiker "Mai Ling" ruft bis heute Irritationen hervor. In dem Sketch, der 1979 in der ARD ausgestrahlt wurde, spricht Polt als Herr Grundwirmer im fragwürdigen Anzug aus seiner geschmacklosen Sofaecke heraus ungelenk in die Kamera. Er stellt seine neueste Errungenschaft vor: seine asiatische Ehefrau "Mai Ling".

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"Sie schmutzt nicht, wie der Asiate an und für sich überhaupt nicht schmutzt." - "500 Mark mehr, wenn ich draufgelegt hätt, dann hätt ich auch a Fitnamesin kriegen können." Zwischen Schauer und Faszination schlägt einen diese Szene in ihren Bann. Mit Unverfrorenheit schwadroniert der grausame Biedermann ohne jedes Schuldgefühl und Unrechtsbewusstsein vor sich hin, was bei vielen Zuschauern Unbehagen auslöst.

Aber genau dieser große Interpretationsspielraum seiner Kunst ist es nicht zuletzt, der Polts anhaltende Beliebtheit bei einem breiten Publikum erklärt, unabhängig von gesellschaftlichen Schichten, generationsübergreifend und sogar quer durch politische Lager.

Eine Grünen-Wählerin mit Vorliebe für Naturschutz kann mit seiner Darbietung genauso viel anfangen wie ein lodenbefrackter CSU-Landrat, der sich freut, weil "denen da oben" richtig eingeheizt wird, ganz im Sinne von Herbert Achternbusch: "In Bayern sind 60 Prozent Anarchisten und die wählen alle die CSU."

Bei Polt ist es häufig schwierig, den Standpunkt, von dem aus er seine Satire entwirft, zu verorten. Seine eigene Haltung bleibt immer Sache von Spekulation. Allerdings ist der permanente Aufruf zu mehr (Selbst-)Skepsis ein fundamentales Prinzip seiner Satire.

Es wirkt ungeheuerlich, wie manche seiner Figuren ohne Selbstkontrolle vom Leder ziehen. Ihnen mangelt es eklatant an Distanz zu eigenen Überzeugungen. Andere machen aber auch vor, dass gängige Phrasen hinterfragt werden sollten: "In der Demokratie sind alle Menschen gleich. Und ich sag's Ihnen, wie es ist, ich bin ein entschiedener Demokrat, weil mir sind wirklich alle Menschen gleich."

Opfer des Aktualitätszwangs

Mit "Fast wia im richtigen Leben" (1979 - 88) erlangte Gerhard Polt überregionale Bekanntheit. Im Laufe seiner Karriere hat er sich allerdings immer mehr aus dem Fernsehen zurückgezogen. Polt kann in fernsehgerechter Kurzzeit nie seine Qualität darlegen. Er erzählt gemächlich, schleicht sich langsam an einen Höhepunkt heran. Genau das ist seine Stärke: eine vermeintlich harmlose Erzählung ins Uferlose, Monströse kippen zu lassen.

Das ist nicht zwingend fernsehtauglich. Zumindest nicht mehr. Alles wird in Echtzeit vermeldet, Informationen werden in Tweet-Länge verknappt und sofort mit lustigen Memes kommentiert. Diese Schnelllebigkeit entspricht nicht dem Tempo des Satirikers.

Polt schneckt viel lieber. Persönlich, künstlerisch und als Autofahrer ist er gemächlich unterwegs. Diese bedachte Form der Entschleunigung ist wohltuend und sei auch für den Genuss des Polt-Werks unbedingt anempfohlen.

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