Gergiev und Netrebko: Klärung der Verhältnisse

"In der aktuellen Situation wäre ein klares Signal für das Orchester, sein Publikum, die Öffentlichkeit und die Stadtpolitik unabdingbar gewesen, um weiter zusammenarbeiten zu können", heißt es in einer Mitteilung von Dieter Reiter. Münchens Oberbürgermeister hatte Valery Gergiev am Freitag dazu aufgefordert, "sich eindeutig und unmissverständlich von dem brutalen Angriffskrieg zu distanzieren, den Putin gegen die Ukraine und nun insbesondere auch gegen unsere Partnerstadt Kiew führt." Eine Antwort blieb aus. Daher trennen sich nun die Wege zwischen Gergiev, der Landeshauptstadt und den städtischen Münchner Philharmonikern. Weitere Konzerte unter dem Dirigenten werde es nicht mehr geben, so der Oberbürgermeister.
"Es befremdet mich, politische Bekenntnisse zu fordern, in diesem Fall war es notwendig", ergänzt die Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden. Man könne nicht anders, als Gergievs Schweigen als Zustimmung zum Krieg seines Freundes Putin zu verstehen. "Bereits die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland hatte er begrüßt, auch den Georgien-Krieg, weshalb die Grünen 2018 im Stadtrat gegen sein Engagement in München gestimmt hatten - damals leider als einzige große Fraktion."
Gergiev: Ende der Beziehung alternativlos
Die Stadt hat aus pragmatischen Gründen gut daran getan, ihr Verhältnis zu Gergiev rasch zu klären, und zwar vor seinem nächsten Konzert am 17. Mai in der Isarphilharmonie. Danach hätte sich ein Gastspiel in Wien angeschlossen. Bei allen diesen Konzerten hätte es bei einer Fortdauer des Krieges massive Proteste gegeben. Man kann vom Orchester der Landeshauptstadt München außerdem kaum erwarten, dass es für Putins Politik den Kopf hinhält. Ein Ende der Beziehung ist daher alternativlos, und wenn Gergiev vor einem Münchner Arbeitsgericht gegen die Stadt klagt, hat er zum Schaden auch noch den Spott.
International wurden überall Auftritte Gergievs abgesagt. Auch ein Ultimatum der Mailänder Scala und des dortigen Bürgermeisters ließ der Dirigent unbeantwortet. Die Premiere von Tschaikowskys "Pique Dame" in der vergangenen Woche war damit auch sein vorerst letzter Auftritt am berühmtesten Opernhaus der Welt. In Edinburgh trat Gergiev als Ehrenpräsident des Edinburgh International Festivals zurück. Das Rotterdamer Philharmonische Orchester brach die langjährige Zusammenarbeit mit dem Dirigenten ab und strich ein nach ihm benanntes Festival. Das Festspielhaus Baden-Baden, die Pariser Philharmonie, das Lucerne Festival und das Verbier Festival kündigten ebenfalls Gergiev und dem von ihm geleiteten Mariinski-Theater in St. Petersburg auf.
Die Sopranistin Anna Netrebko hat sich längst nicht so stark wie Gergiev politisch exponiert. Ihre halbherzige Distanzierung vom russischen Angriffskrieg steht nun im Widerspruch zur entschiedenen Haltung im Westen. Serge Dorny, der Intendant der Bayerischen Staatsoper,annulierte nun wie die Mailänder Scala und das Züricher Opernhaus Termine der Sopranistin in Verdis "Macbeth"ebenso wie Gergievs Dirigate der "Frau ohne Schatten". Kurz danach postete die Sopranistin auf Instagram ein älteres Foto mit sich und dem Dirigenten, das bald wieder verschwand. Der Veranstalter eines Konzerts mit Netrebko in der Hamburger Elbphilharmonie zitierte ein Statement der Sopranistin, wonach sie sich vorläufig "aus dem Konzertleben" zurückziehen wolle.
Es kann nicht darum gehen, von jedem Künstler politisch Rechenschaft zu fordern und ihn mit länger zurückliegenden Äußerungen zu konfrontieren. Auch hier gibt es ein Recht auf Irrtum und auf Schweigen - etwa im Fall des mit einem Putin-Tattoos verzierten Tänzers Sergej Polunin, der auch nach homophoben Äußerungen noch als Gast beim Bayerischen Staatsballett aufgetreten ist.

Dessen Direktor Igor Zelensky verteidigte ihn damals. In seinem eigenen Fall stellt sich die Frage, ob er noch offizielle Ämter in Russland wahrnimmt. Dem Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst sind nach Angaben eines Sprechers keine Funktionen in Russland bekannt, "die in Verbindung mit der russischen Regierung stehen. "Ballettdirektor Igor Zelensky ist von Staatsintendant Dorny gleichwohl aufgefordert worden, diesbezüglich kurzfristig eine Erklärung abzugeben", so das Minsterium.
So richtig die Entscheidung der Stadt ist, verbietet sich dennoch im Fall von Valery Gergiev das Nachtreten. Die internationale Karriere des Dirigenten liegt in Scherben, die kaum mehr zu kitten sind. Zwar ist das aus mehreren Opernhäusern und Konzertsälen bestehende Imperium des Mariinsky-Theaters St. Petersburg immer noch groß, sein internationaler Ruhm gründete allerdings auf der Weiterentwicklung der erstarrten russischen Tradition durch die Zusammenarbeit mit westlichen Opernhäusern und Festivals sowie dem Engagement internationaler Künstler. Hier dürfte ein Endpunkt erreicht sein. Man wird noch einmal im nationalen Geist zusammenrücken, dann wird der Ruhm langsam verblassen.

Gergievs Engagement als Chefdirigent von Anfang an umstritten
In München haben es nun viele schon immer gewusst. Allerdings ist daran zu erinnern, dass das Engagement als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker von Anfang an umstritten war, und zwar sowohl aus politischen wie künstlerischen Gründen. Und bei allen Verdiensten städtischer Kulturpolitiker: Ohne einen international tätigen Chefdirigenten, dessen Rückzug peinlich gewesen wäre, hätte die Stadt nie die Isarphilharmonie mit einer Akustik von Yasuhisa Toyota gebaut.
Das sind Widersprüche, die man aushalten sollte. Denn "man kann auch den Künstler Gergiev bewundern und Mitgefühl mit ihm haben, weil er vielleicht innerlich ein zerrissener Mensch ist - und es trotzdem zwingend finden, dass man von ihm als dem bedeutendsten Putinregime-Propagandisten in der Kulturwelt eine Stellungnahme verlangt", schrieb der in Berlin lebende Schriftsteller und leidenschaftliche Konzertbesucher Albrecht Selge ("Beethovn") in einem Tweet. Dem ist nichts hinzuzufügen.