Interview

Alexander Malofeev: Wie er seine Familie vermisst & trotz des Krieges Konzerte gibt

Der kommende Klavierstar gastiert am 10. Dezember in der Isarphilharmonie
Marco Frei |
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Der Pianist Alexander Malofeev.
Evgeny Evtyukhov 4 Der Pianist Alexander Malofeev.
Der Pianist Alexander Malofeev.
Luidmila Malofeeva 4 Der Pianist Alexander Malofeev.
Der Pianist Alexander Malofeev.
Alfredo Tabicchini 4 Der Pianist Alexander Malofeev.
Der Pianist Alexander Malofeev.
Luidmila Malofeeva 4 Der Pianist Alexander Malofeev.

Als der Pianist 2022 in Frankfurt für den erkrankten Jewgeni Kissin einsprang und wenig später in Wien zudem Khatia Buniatishvili vertrat, ist die Sensation perfekt. Am Sonntag gastiert der 22-Jährige in der Isarphilharmonie. Unter der Dirigentin Alevtina Ioffe spielt er mit der Ungarischen Nationalphilharmonie den "Totentanz" von Franz Liszt und "Andante spianato und Grande Polonaise brillante" von Frédéric Chopin.

Bewegte Zeiten liegen hinter ihm. Als Russland die Ukraine angreift, tourt er durch Nordamerika. Rund 40 seiner Auftritte wurden abgesagt, trotz seiner russisch-ukrainischen Herkunft. Mit Hilfe von Daniel Barenboim und seiner Akademie konnte er Russland verlassen und lebt seither in Berlin.

AZ: Herr Malofeev, haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie in Russland?

ALEXANDER MALOFEEV: Ja, es ist sehr emotional. Unterschiedliche Generationen können unterschiedliche Sichtweisen und Meinungen haben. Ich kenne viele Familien in Russland, die völlig zerrüttet sind. Wir haben Kontakt, aber ich habe meine Familie seit anderthalb Jahren nicht mehr gesehen.

Warum?

Mir droht eine Einberufung in die Armee, sollte ich nach Russland reisen. Dass ich meine Liebsten nicht sehen kann, ist für mich das Härteste. Ich möchte aber in einem Interview nicht so wirken, als ob ich der Leidende wäre. Das bin ich nicht, verglichen mit anderen, die wirklich Schlimmes durchmachen. Mir geht es gut. Ich bin glücklich und dankbar, in Berlin zu sein. Ich kann Konzerte geben, habe viele Ideen für die Zukunft.

Aus manchen Ihrer neueren Biografien sind Valery Gergiev und der Pianist Denis Matsuev verschwunden, obwohl Sie von beiden gefördert wurden. Haben Sie ein Problem damit?

Für mich ist es nicht schwer, dazu zu stehen. Ja, ich war beeinflusst von Gergiev und Matsuev wie auch von Wladimir Spiwakow oder Nikolai Lugansky. Man kann Gergiev auch nicht aus der Geschichte Münchens tilgen. Er hatte auf die ganze Stadt einen großen Einfluss, wie allein die Isarphilharmonie zeigt.

Dort spielen Sie jetzt Liszt und Chopin. In einer Rezension von 2015 wurde die These aufgestellt, dass Ihr Liszt und Chopin dem Spiel von Matsuev ähnelte: flotte Tempi und vollgriffige Virtuosität. Wie denken Sie heute darüber?

Das ist lange her. Ich war damals 14 Jahre, und es wäre traurig, wenn sich mein Spiel seither nicht geändert hätte. Allerdings würde ich auch nicht behaupten, dass ich damals versucht hätte, ihn zu imitieren. In Russland ist die technische Ausbildung am Klavier klar auf ein solches Profil fokussiert: schwer, nicht unbedingt schnell, aber vollgriffig. Matsuev hatte einen großen Einfluss auf mich. Er hatte nicht zuletzt viele Festivals. Beide, Gergiev und Matsuev, haben den jüngeren Generationen in Russland sehr geholfen. Künstlerisch war ich vor allem von Meistern beeinflusst, die tot sind.

Nämlich?

Einen riesigen Einfluss hatte Sergei Rachmaninow. Wenn man seinem Spiel zuhört, ist da eine faszinierend schlanke, unprätentiöse Melodie. Auch Vladimir Horowitz hatte einen großen Einfluss auf mich, tatsächlich gerade bei Liszt und Chopin: vor allem in seiner späteren Periode. Ich mag sein Denken. Das war irgendwie außerhalb des Universums.

Wie meinen Sie das?

Ich mag seinen Anschlag, sein Timing. Er hat das Beste aus der russischen Schule und der europäischen Kultur genommen. Bei Chopin schätze ich zudem Arturo Benedetti Michelangeli: vor allem seine Aufnahme der Klaviersonate Nr. 2. Natürlich war ich auch beeinflusst von der sowjetischen Schule wie Lew Oborin, Heinrich Neuhaus oder Reinhold Glière. Manche waren von der körperlichen Statur her korpulent und klangen mitunter auch so.

Gibt es denn überhaupt die eine russisch-sowjetische Schule? Eine Tatjana Nikolajewa war ganz anders als ein Swjatoslaw Richter.

Natürlich ist es schwer, von der einen russischen Schule zu sprechen. Das ist sehr abstrakt. Für mich ist die russische Musik immer verbunden mit schönen Melodien, also auch mit Gesang und der russischen Sprache. Als ein Musiker aus Russland liebe ich die Melodie.

Haben Sie mit Ihren großen Erfolgen Ihre Kindheit verloren, wie es ein Rezensent 2015 befürchtete?

Ich hatte eine schöne Kindheit! Natürlich vermisste ich Dinge, die andere haben, aber dafür hatte ich die Bühne. Das gibt etwas auf ganz andere Weise. Ich war generell nicht der sozialste Teenager. Ich fühlte mich wohl beim Üben allein im Zimmer. Ich mag das Kreieren meines eigenen Raums. Ob Zimmer oder Bühne: Es ist stets mein eigener Raum, auch wenn Hunderte zuhören. Ich lasse sie zu mir herein.

Und wenn Sie mit einem Orchester musizieren: Ist das auch Ihr eigener Raum oder eine große Kammermusik, wie es einst Claudio Abbado formulierte?

Es ist noch immer ein Orchester mit vielen unterschiedlichen Individuen. Das Beste, was uns passieren kann, ist, eine schöne gemeinsame Zeit zu haben. Ein Solo-Rezital ist anders: Das bin nur ich, sehr individuell und nackt. Ein Solokonzert hat Kadenzen, wo man alles von sich zeigen kann, aber das Orchester sitzt ebenfalls auf der Bühne. Da hängt nicht alles von mir allein ab. Leider (lacht).

Umso besser, dass Sie in München Chopins "Andante spianato und Grande Polonaise" spielen. Da ist ja das Orchester im Grunde überflüssig, oder?

Ja, ich brauche es eigentlich nicht, aber ich habe es. Ich denke, es ist sehr interessant für das Publikum, weil man diesen Chopin nicht so oft im Konzert in dieser Form mit Orchester erlebt. Das ist wunderschöne Musik.

Und der "Totentanz" von Liszt?

Vielleicht werden Sie mir nicht zustimmen, aber ich liebe dieses Stück mehr als seine Klavierkonzerte. Auch bei Chopins Klavierkonzerten sind die Melodien wunderschön, weil es Chopin ist, aber sie haben einige Mängel in Verbindung mit dem Orchester. Bei Liszt sind Paraphrasen wie diese das bevorzugte Genre. In den beiden Werken von Liszt und Chopin hat das Orchester nicht so viel zu tun. Beide kommen damit besser zurande als in ihren Klavierkonzerten.

Isarphilharmonie, Sonntag, 10. Dezember, 16 Uhr. Restkarten an der Abendkasse und unter Telefon 93 60 93. Auf dem Programm des Konzerts stehen außerdem die Ouvertüre zu Bellinis "Norma" und Prokofjews Suite Nr. 1 aus "Romeo und Julia"

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  • Ulrich J. am 10.12.2023 21:55 Uhr / Bewertung:

    Vielen Dank für dieses bewegende Interview mit einem überaus begnadeten jungen Pianisten! Der freilich nicht zum ersten Mal in München gastiert, sondern bereits am 17.04.2023 umjubelt wurde. Zudem würde ich, soeben beeindruckt zurück vom heutigen Konzert in der Isarphilharmonie, nicht von einem „kommenden“ Star sprechen wollen. Ich zumindest kenne keinen Pianisten, der Alexander Malofeev derzeit an technischer Perfektion, Klangsicherheit und interpretatorischer Ausdrucksstärke übertreffen würde. Und dabei ist dieser Pianist gerade einmal 22 Jahre jung. Es bleibt nur zu hoffen, dass er möglichst bald wieder in München gastiert. Fabelhaft!

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