Genüsslich erschrecken
Von Courbet bis Gursky: Mit der üppigen Schau „Realismus – Abenteuer Wirklichkeit“ feiert die Hypo-Kunsthalle ihr 25-jähriges Bestehen
Schon komisch, sie starrt uns kühl ins Auge, und oft genug schauen wir weg. Wenn die so genannte Realität dann aber im Museum landet, zieht sie uns um so mehr an. Die wohlige Welt des Wiedererkennens ist heute so attraktiv wie vor zweieinhalbtausend Jahren. Damals, als Zeuxis von Herakleia ein paar Trauben so täuschend echt gemalt haben soll, dass sich die Vögel wild drauf stürzten.
Wer die Hypo-Kunsthalle betritt, kann sich bei den quietschbunten Kaugummikugeln auf Charles Bells „Gumball XI“ noch zurückhalten. Aber schon ein paar Räume weiter stolpert man über zwei Handwerker. Erschrickt – und schauert doch genüsslich. Zum 25. Geburtstag gönnt sich der noble Kunsttempel an der schicken Theatinerstraße eine Schau, die so üppig wie anspruchsvoll ist: Und „Realismus – Das Abenteuer der Wirklichkeit“ will das letztlich Unmögliche.
Sein und Schein
Denn wo beginnt und wo endet dieses Spiel zwischen Schein und Sein, Wahrnehmung und dem tatsächlich Vorhandenen? Kunsthallenchefin Christiane Lange und ihr Co-Kurator Nils Ohlsen eröffnen ihre prallvolle Wunder-Kammer just mit Gustave Courbet, dem Urvater des „Realismus“. In den 1860er Jahren hievte der Franzose Bauern und Steinklopfer in die elitäre Kunstwelt – in München sind’s wellenumspülte Wolken. Doch die Frage nach der Wirklichkeit reicht sehr viel weiter zurück, wie Zeuxis’ Obst-Fake zeigt. Und gerade Courbet verweigerte sich mit Nachdruck den akademisch glatten Täuschungsmanövern seiner Salonkollegen, deren Nachkommen in der Kunsthalle bestens vertreten sind.
Genau diese Fülle gibt andererseits auch den Hinweis, dass dieses Dauerthema der Kunstgeschichte nicht wirklich zu fassen und vor allem endlos ist. In acht sinnfälligen Abteilungen – vom Stillleben über den Lebensraum Stadt oder das moderne Historienbild bis zum Porträt – darf das Auge schweifen. Sich delektieren an Trompe-l’oeils wie Tony Matellis Löwenzahn, der in der Ecke wuchert. An Andreas Gurskys hübsch zum Weltbild drapierten Inselchen vor der Küste von Abu Dhabi oder an Wilhelm Leibls anmutigen Händen. Staunen kann man über John de Andreas Nackerte, die schwerlich von einer „Echten“ zu unterscheiden ist, und sich auf Spurensuche begeben bei Candida Höfer oder in den New Yorker Straßenszenen von Richard Estes. Gruseln vor Aernout Miks verwirrenden Videos aus einem Gefangenenlager und nach über 180 Exponaten zur Ruhe kommen: Etwa bei Edward Hopper. Oder vor dem guten alten Matterhorn.
Und schöne, wahre, bare Realität ist am Sonntag der freie Eintritt in die Kunsthalle. Quasi zum Fünfundzwanzigsten.
Christa Sigg
Bis 5. September, täglich 10 bis 20 Uhr, Katalog 25 Euro
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