Gemeißelte Ideologien
Das Architektur-Museum zeigt eindrucksvoll, wie Bauwerke im Dienst der Utopien die Menschheit verändern sollten
Auf das Beste eingerichtete Häuser und Höfe – glückliche Einwohner, schönere Städte und Fluren – bessere Bürger, verschönerte Länder – verbesserte Völker, verschönerte Erde – veredelte Menschheit!”, fasste der für einen bayrischen Baubeamten ein bisserl zu revolutionäre Gustav Vorherr 1821 die Bastelanleitung fürs Paradies zusammen.
Und William Morris, englischer Frühsozialist und Pionier der „Arts and Crafts”-Bewegung, benannte 1890 das hehre Ziel und die große Aufgabe der Architekten: „Solange du lebst, ringe mit all deiner Kraft für die Gleichheit der Menschen und schichte Stein auf Stein zum großen Bau der Genossenschaft des Friedens und des Glücks.” Das Pathos, das bei solchen Appellen mitschwang, diente, anders als bei der Herrschaftsarchitektur im Dienste eines absolutistischen Bauherrn, der demokratischen Emanzipation der Beherrschten.
Inwieweit kann man durch Gebäude die Menschen, die in ihr leben, formen und die Welt verbessern? Das TU-Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne stellt jetzt in seiner 40. Ausstellung die Gretchenfrage der Baukunst und setzt sich mit „L’Architecture engagée – Manifeste zur Veränderung der Gesellschaft” auseinander.
Von Thomas Morus „Utopia” zu Ernest Callenbachs „Ökotopia” – in sieben Stationen zeigen Winfried Nerdinger und sein Team jene Konzepte auf, in denen die Architektur im Sinne der Aufklärung auf die Gesellschaft einwirken sollte. Da waren Ideen wie das „Versailles fürs Volk” des französischen Reformers Charles Fourier: Seine „Phalanstère” war eine Art Landkommune für bis zu 1620 Bewohner, in der die „freie Liebe” eines der geltenden Ideale war. Oder der paternalistische Ansatz des schottische Industriellen Robert Owen, der seine Musterstadt in den USA „New Harmony" taufte. Oder Frank Lloyd Wrights „Broadacre City”, worin er von der horizontalen, wahrhaft demokratischen Metropole träumte. Es wurden ein „Menschheits-Pantheon” und ein „Welttempel” entworfen und stets ging es um nichtsweniger als die „Erziehung des neuen Menschen” in Kommunehäusern und Kibbuzim; in Bruno Tauts Hufeisensiedlung oder in Renaat Braems Bandstadt.
Dabei bleibt das Thema nicht so theoretisch wie es klingt; Modelle, Entwürfe und Fotos machen es anschaulich, und sogar eine utopische Kantate, die Mozart im Auftrag seines Freimaurer-Bruders Franz Heinrich Ziegenhagen schrieb, kann man anhören.
Die meisten Visionen blieben indes Papier, sind gescheitert oder nur in Ansätzen verwirklicht worden. So wie Ebenezer Howards Idee der Gartenstadt, in welcher der Grund und Boden von den Landlords in den Besitz der Bewohner übergehen sollte: Sie wurde in Deutschland von den Bauträgern nach 1900 formalistisch auf die Villenkolonie im Grünen reduziert.
Das Grundproblem bleibt, dass jeder Städtebau-Ideologe, und sei er auch noch so wohlmeinend, den Bewohnern zwangsläufig seine Welt als Wille und Vorstellung aufdrückt. Am nächsten kommt dem Ideal vielleicht der partizipatorische Ansatz Frei Ottos, der eine Siedlung ganz nach den Wünschen der Bewohner entwickeln ließ – ein für Architekten extrem mühseliger, aber letztlich wohl zur Zufriedenheit der Nutzer führender Weg – bei dem sich der Architekt am Ende selbst überflüssig macht.
Pinakothek der Moderne, bis 2. September, Di – So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr, Katalog 35 Euro