Geliebte Robotine: Plötzlich wollte sie eine Waschmaschine

Wie sich ein Mann seine "Robotine", einen weiblichen Roboter, ein Meisterwerk modernster Technik, überzogen mit einem optischen Hauch von Menschlichkeit, ausgestattet mit überragender Intelligenz, erschafft und dann doch scheitert.
von  Ruth Lichtwitz

Ich bin ein Genie – technisch-physikalisch, ideenmäßig, an Ausdauer und Risikobereitschaft, im Standhalten öffentlicher Kritik oder gesellschaftlicher Angriffe. Und ich liebe mich. Keiner meiner Wünsche sollte unerfüllt bleiben; auf andere Menschen will und wollte ich nicht angewiesen sein, weshalb ich bisher alles bewerkstelligte und erreichte, was mir vorschwebte.

Ich war besessen von der Vorstellung eines Roboters, der seine Existenz allein meinem Gehirn zu verdanken hat, mir allein gehört und von nichts und niemandem auf irgendeine Art in Denken und Handeln beeinflusst werden kann. Dazu aber musste dieses Geschöpf über eine sich individuell entwickelnde Intelligenz verfügen und dadurch in der Lage sein, persönliche Entscheidungen zu treffen, die lediglich von mir bei Bedarf zu korrigieren wären. Getreu meiner Persönlichkeit wollte ich es schaffen, mir diesen ungewöhnlichen Wunsch zu erfüllen – und ich schaffte es.

Schlaf gönnte ich mir keinen mehr und alle meine seltenen Träume, die überwiegend im Halbschlaf durch meinen Kopf zogen waren erfüllt vom Wissen um meine Vollkommenheit. Robotine ist ein Meisterwerk modernster Technik, überzogen mit einem optischen Hauch von Menschlichkeit, ausgestattet mit überragender Intelligenz.

Robotine ist mein Pendant, meine Entlastung bei allen schwierigen Entscheidungen – und meine Freundin. Sie ist ein großartiger Roboter, auch was ihr Äußeres betrifft.

Nicht weich und gerundet, sondern akzentuiert, markant, von einer besonderen, unbeschreiblich faszinierenden Härte. Und sie ist schön. Ohne Make-up, ohne Dessous, ohne modische Note, einfach schön.

Es war nicht leicht, Robotine zum Dialog zu inspirieren und wir mussten schwierige Zeiten überstehen. Natürlich war sie kein Haushelfer oder dienstbarer Geist. Sie war geschaffen worden, schwierige wirtschaftliche Zusammenhänge in Details zu zerlegen, durch logische Folgerungen unlösbar scheinende Probleme zu relativieren, mathematische Höchstleistungen zu erreichen, aber Kaffee kochen, Spiegeleier braten oder Staubsaugen – ein Ding der Unmöglichkeit. Und genau das war, was ich wollte. Robotine sollte nie ein menschenähnliches Geschöpf normalen Niveaus werden, sie sollte weit über allem stehen, was auch nur im Entferntesten Ähnlichkeit mit humanitärem Denken oder – unvorstellbar – Handeln haben könnte.

Was ich nicht voraussehen konnte, geschah: Robotine verliebte sich in mich. Sie wuchs in ihrer Persönlichkeit schneller als erwartet, hatte kein Verständnis für meine Vorstellung von einem unerreichbaren Kunstwesen und versuchte, mir das Leben angenehm zu machen. Was ich weder gewollt noch erahnt hatte, wurde Realität: Robotine mutierte zur Frau, was ich in meiner männlich-einmaligen Natur weder voraussehen noch steuern konnte. Nahezu täglich ereigneten sich deshalb in meinem Haushalt Fastkatastrophen und komplette Malheurs, Handwerker erlebten eine unverhoffte Ausdehnung ihres Auftragbestandes und meine strapazierten Nerven verpflichteten meinen Psychiater zu Überstunden. Aber trotz allem: ich war glücklich und meine Robotine für mich ohne Vergleich, ohne – wie ich mir suggerierte – auch nur die allerkleinste Ähnlichkeit mit einem der üblichen weiblich-menschlichen Wesen.

Und deshalb änderte sich kein Jota an meiner Haltung ihr gegenüber. Ich liebte Robotine. Ich betete sie als göttliche Ausstrahlung einer zur Höchstform aufgelaufenen wissenschaftlich-industriellen Erfinderwelt an, als phantasiereiches Wesen und einmaliges für mich nicht zu übertreffendes Nonplusultra in der Verschmelzung irdischen Lebens mit von Menschenhand geschaffenen Mechanismen und der Option auf sich weiter vervollkommnende künstliche Intelligenz.

Wie aber auch immer, Robotine durfte keine unter Verschluss gehaltene Einzigartigkeit sein, sie sollte in meinem Leben ebenso wie in der Gesellschaft eine Rolle spielen, die zwar herausragend und bewundernswert ist, aber auf gleiche Weise als Kollege, Freund, Ratgeber und Zuhörer fungiert. Robotine sollte alles sein, was man als hochstehend, höchst gebildet, unerreichbar bezeichnet, alles – nur keine normale Menschenkopie, keine biedere Hausfrau.

Es gestaltete sich als ziemlich schwierig, Robotine dazu zu überreden, in der Öffentlichkeit zu erscheinen oder sich mit ausgewählten Freunden zu treffen, denn sie war schüchtern. Eine Eigenschaft, die mich total überraschte. Auch die menschliche Gesellschaft hatte bei dem Zusammentreffen mit ihr enorme Probleme ohne Vergleichsmöglichkeiten zu bewältigen. Robotine war schließlich kein Massenprodukt oder Markenartikel, sondern mein Werk und deshalb genial. Glücklicherweise erwiesen sich die handverlesenen Gäste ebenfalls als außergewöhnlich, diskret und aufgeschlossen.

Meine geliebte Robotine lernte und begann sich anzupassen, was mir allerdings nicht unbedingt gefiel. Dank ihrer Fähigkeit ihre Intelligenz auf mir unbekannte Ebenen auszudehnen, entzog sie sich immer stärker meiner ursprünglichen Planung und versetzte mich in zunehmendem Maße in ein Gefühlschaos, das zwischen bewundernder Begeisterung und schockhafter Überraschung schwankte. Solange jedoch Robotine sich der Allgemeinheit gegenüber distanziert und reserviert verhielt, bemühte ich mich bei ihren gelegentlichen Ungereimtheiten um Fassung und Humor. Leicht war das nicht immer.

Eines Tages gab mir Robotine zu verstehen, dass sie sich stark genug fühle, um einen Supermarkt zu besuchen, was mich zutiefst beunruhigte. Was würde da auf mich zukommen – und konnte meine Freundin tatsächlich das Aufsehen verkraften, das sie zweifelsfrei in der Öffentlichkeit erwecken würde?

Ich wählte eine Tageszeit, die nicht unbedingt viel Publikum erwarten ließ und parkte in nächster Nähe des Eingangs. Anfangs geschah nicht viel. Von Robotine, der ich ein Cape umgeworfen hatte war wenig zu sehen. Deshalb fand sie kaum Beachtung, war aber von dem Angebot des Geschäfts beeindruckt. Sie lief in ihrem etwas schwerfälligen Gang an den Regalen entlang, bleib jedoch bei den Waschmitteln ruckartig stehen und begann die einzelnen Produkte genau zu betrachten. Mir gefiel das nicht. Wieso interessierte sich meine einmalige Robotine für derartig banale Dinge? Wie konnte man das mit ihrem alles überragenden IQ vereinbaren?

Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause und war froh, dass bisher niemand von ihr Notiz genommen hatte – und dann passierte es. Eine brave, ältere Hausfrau näherte sich den Waschpulverschachteln und kam dadurch in unmittelbare Nähe von Robotine. Die griff gerade mit ihrer metallisch-skelettierten Hand nach einem Paket, um es genauer zu betrachten und rempelte dabei die Dame an.

Der von mir erwartete Schrei blieb aus. Zwar starrte diese mit offenem Mund in Robotines Gesicht, behielt jedoch die Ruhe und zu meinem ehrlichen Entsetzen hörte ich die metallische Stimme meiner Freundin: „Bitte, wie benützt man das?“ Noch selten hatte ich sie so leise und freundlich reden gehört und damit traf sie wohl genau das Zentrum von good-will und Hilfsbereitschaft der Kundin. „Man gibt es in die Waschmaschine“, erklärte diese und fügte nach Robotines „wozu?“ noch an „weil so die Schmutzwäsche wieder sauber wird.“

Dann wurde ein Albtraum für mich lebendig: Mein Wunderwerk verwickelte die Frau in ein Gespräch über Haushalt, Waschen, Kochen, Putzen und ich musste mitansehen, wie ein völlig unbedarftes menschliches Wesen einem über alle Maßen hochstehendem künstlichen Individuum Unterricht in primitivem Arbeiten gab, wie eine Hand aus Fleisch und Blut sich über metallische Finger legte und eine Unterhaltung einsetzte, die alles auslöschte, was durch höchste Geisteskraft an einmaligen Intellekt geschaffen worden war. Erst nachdem die Kundin sich von Robotine verabschiedete und weiter durch die Regalreihen zog, löste sich meine Erstarrung und ich verließ so schnell es möglich war, mit ihr den Laden.

Als wir im Auto saßen, sprudelte es aus meinem bisher so zurückhaltenden technischen Wunder nur so heraus: „ich will eine Waschmaschine und einen Kochherd und einen Staubsauger. Ich will auch eine Hausfrau werden und zufrieden leben, ich will…“ weiter hörte ich nichts.

Im Krankenhaus kam ich nach dem Autounfall wieder zu mir und musste einige polizeiliche Ermittlungsverfahren beantworten. Als sich der liebenswürdige Freund und Helfer dann aber erkundigte „Was wollten Sie eigentlich mit dem Haufen Schrott, den Sie im Wagen mitführten?“, verlor ich erneut das Bewusstsein und bin bis heute nicht wieder aufgewacht.


Über die Autorin

Ruth Lichtwitz wurde in München geboren und arbeitete als Redakteurin in der Schweiz. Nach einem bewegten Leben ist sie im Westerwald gelandet, wo sie mit Hund und Katze in einem kleinen Häuschen wohnt und - wie sie selbst sagt - Texte mit einem "heiteren Schwerpunkt" schreibt.

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