Gegen den Zuschauerschwund

Der Debatten-Marathon "Publikumsbegrüßung" in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
Michael Stadler |
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Leiden die Theater noch immer untder den Beschränkungen der Pandemie, als Sitze gesperrt werden mussten?
picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild 3 Leiden die Theater noch immer untder den Beschränkungen der Pandemie, als Sitze gesperrt werden mussten?
Blick auf die leeren Sitzplätze des Landestheaters Salzburg.
picture alliance/dpa/LANDESTHEATER SALZBURG/APA 3 Blick auf die leeren Sitzplätze des Landestheaters Salzburg.
Leiden die Theater noch immer untder den Beschränkungen der Pandemie, als Sitze gesperrt werden mussten?
picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild 3 Leiden die Theater noch immer untder den Beschränkungen der Pandemie, als Sitze gesperrt werden mussten?

In Eisenach liebt das Publikum das Theater so sehr, dass es sogar um sein Fortbestehen kämpft. Als das Landestheater vor rund zehn Jahren wegen Wegfalls städtischer Fördergelder geschlossen werden sollte, formierten sich Bürgerinnen und Bürger der Stadt zu Protestchören auf dem Theaterplatz, ja, sogar ein riesiger Schal wurde gestrickt und mehrfach um das Theater gewickelt.

Diese und andere Aktionen waren letztlich von Erfolg gekrönt: Das Landestheater Eisenach konnte gerettet werden. So erzählte es Juliane Stückrad, Vorsitzende der "Freunde und Förderer des Landestheaters Eisenach e.V." zu Beginn eines langen Diskussionsabends in der Akademie der Schönen Künste, der genau vom Gegenteil demonstrativer Publikumsliebe handeln sollte.

Viele Theater im deutschsprachigen Raum leiden derzeit unter Zuschauerschwund - woran liegt das und was kann man dagegen tun? Um diese Frage eingehend zu beleuchten, haben der in München als Schauspieler wie Fotokünstler bekannte Stefan Hunstein und FAZ-Redakteur Simon Strauß einen Abend organisiert, der unter dem Titel "Publikumsbegrüßung" Zuschauende, Theatermachende und Schauspielende diskussionsträchtig in einem Saal versammelte. Plus Erweiterung in den digitalen Raum: Die Online-Plattform "nachtkritik.de" besorgte die Live-Übertragung des Geschehens ins Netz und band Einwürfe aus dem Chat in die Diskussion ein.

Viele Teilnehmende, viel Gesprächsstoff - drei Panels standen auf dem Plan, sechs Stunden (mit Pausen) dauerte die Veranstaltung und war überraschend kurzweilig. Beachtlich die Reichweite der Erwartungen, die das Publikum im Saal hatte: Die einen wünschten sich wieder mehr "Faszination" und "Schauspielkunst", die anderen die "Einbindung tagesaktueller Themen".

Also, wo soll's hingehen? Der Blick ging bei manchen vor allem zurück: Er könne sich an eine Zeit erinnern, sagte der im Publikum anwesende Schauspieler Rufus Beck, als man in München wegen bestimmter Schauspieler sein Zuhause Richtung Theater verließ. "Ach, der spielt das? Da gehe ich hin!"

Also: Müssten die Bühnen nicht Strategien entwickeln, um (wieder) Stars aufzubauen? Jochen Schölch, Intendant des Metropoltheaters, ist es hingegen wichtig, dass seine Darsteller auf Augenhöhe mit dem Publikum sind. Was offenbar zum Erfolg führt: Eine Auslastung von fast 100 Prozent verzeichnet sein Theater, wobei dort nur - beziehungsweise immerhin - 180 Sitze pro Abend gefüllt werden müssen. Die Coronakrise, so Schölch, habe den Leuten bewusst gemacht, dass sie das Metropoltheater vermissen - ein denkwürdiger Satz, schließlich leiden andere Häuser weiterhin unter den Folgen der Pandemie.

Andreas Beck, Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels, bewertet die Maßnahmen von Staat und Stadt während der Pandemie - vom unnötigen Schließen der Bühnen über zweieinhalb Jahre hinweg bis hin zum halbherzigen Aufsperren im letzten Jahr - als Hauptgründe für die derzeitige Misere. Diejenigen, die mit der Kultur so umgegangen seien, würden jetzt fragen, wieso die Theater ein Publikumsproblem haben. Zudem monierte er, dass zu wenig über die Schauspielenden, über die Schauspielkunst geredet werde und manche Theater "zu viel Sozialkunde" in ihren Spielplänen hätten, sprich, bei der Planung zu sehr sortieren und darauf achten würden, welche Inszenierung auf welche Publikumsschicht passt.

Auch wenn Beck sich hinsichtlich der Zielgruppenorientierung selbst nicht ausnimmt, klang das doch vor allem nach einem kritischen Gruß Richtung Kammerspiele - dem Haus mit der derzeit schlechtesten Auslastung. Da München stark von Migration geprägt sei, sieht Intendantin Barbara Mundel weiterhin die Notwendigkeit, "diese Stadtgesellschaft in ihrer Komplexität auch ins Theater zu holen." Die Bühne als Ort der Repräsentation verschiedener Communities, als Ort des Empowerments - eine der wenigen Vertreterinnen der "Generation Z" im Publikum gab zu bedenken, dass viele junge Zuschauende die Verbindung von Kunst mit dem Aufzeigen politischer Möglichkeiten im Theater gerade wichtig finden.

Michael Maertens hingegen stellt zu später Stunde fest: "Die Politik - das ist nicht die Aufgabe des Theaters". Dass er im nächsten Jahr nicht mehr den "Jedermann" in Salzburg spielen wird, kommentiert er nebenbei: In Hamburg sei er einst so dauerhaft beliebt gewesen, dass Jürgen Flimm ihm gesagt habe, dass er für seine Weiterentwicklung unbedingt scheitern müsse. "Jetzt ist mir das endlich gelungen!"

Beim dritten und letzten Panel des Abends war auch Benny Claessens anwesend - als Ensemblemitglied der Kammerspiele unter Johan Simons oft Anfeindungen des Publikums ausgesetzt, mittlerweile an der Berliner Volksbühne offenbar herzlicher angenommen: "Ich finde es wahnsinnig rührend, wie die Leute für einen da sind." Wiebke Puls, seit 17 Jahren an den Kammerspielen, fühlt sich vom Publikum "viel besser geschützt als von der Leitung". Seitdem sie sich aufs Spielen konzentriere und sich nicht mehr für die Agenda einer Intendanz mitverantwortlich fühle, gehe es ihr wesentlich besser, so Puls.

Joyce Sanhá, Neuzugang im Ensemble der Kammerspiele, stellte freimütig fest, dass ihr schon klar sei: "Die Diversität bin ich!" Aus dem Internet kam wiederum die Kritik, dass die Zusammensetzung der Panels nicht divers genug sei. Wie die verschiedenen Ansprüche verschiedener Generationen vereinbar sind, wie die Theater vielleicht wieder voll werden - das konnten auch sechs Stunden Diskussion nicht klären. Aber ein breites Meinungsspektrum kam zum Vorschein. Und die Hoffnung stirbt zuletzt. Wie sagte es Michael Maertens? "Auf Dauer ist es doch nicht befriedigend, immer zu Hause zu sitzen."

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