Ganz einfach schön

Kunst, die sich nützlich macht? In der dritten Pinakothek sorgt die Neue Sammlung für eine sommerliche Überraschung und zeigt Möbel des amerikanischen Minimalisten Donald Judd
Christa Sigg |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Man kann ihn schon verstehen. Nicht nur, dass er in Marfa, diesem Kaff im westlichen Texas, kaum käufliche Möbel fand. Donald Judd gefiel damals, in den frühen Siebzigern, auch nichts in einem Maße, um es täglich um sich herum zu haben. Was tut also ein Künstler, noch dazu ein skrupulöser mit Hang zum Perfektionismus? Wenn er genug Geld hat, gibt er die passende Einrichtung in Auftrag. Andernfalls, und das war bei Judd der Fall, „schreinert” er sich sein Zeug selbst.

Was dabei herauskam, wohin diese ersten Versuche bald führten, das ist jetzt in der Pinakothek der Moderne zu sehen, zum Teil erstmals außerhalb des Juddschen Refugiums: Im Rahmen des „American Summer” zeigt die Neue Sammlung den großen US-Minimalisten von seiner wenig bekannten Seite als Gestalter von Möbeln.

Zusammengenagelte Kiefernbretter

Tatsächlich sind die ersten zusammengenagelten Kiefernbretter wenig einladend. Gleich am ersten, noch ziemlich schrappligen Schreibtisch möchte man einen herausstehenden Nagel weiter ins Holz drücken – sicher, das Ganze musste schnell fertig werden, konnte kaum für die Ewigkeit gedacht sein – und auch die Planken am Doppelbett der beiden Söhne wellen sich beträchtlich. Vor allem aber wirken sie alles andere als bequem. So, wie die folgenden radikal einfachen Stühle und Tische, die Judd bis zu seinem Tod 1994 entworfen hat und die er von hochversierten Profis u. a. in der Schweiz bauen ließ: den Eichenstuhl (1989) mit der fragilen, rahmenhaften Lehne. Die Kisten-Hocker in Maisgelb, Schwarz oder Haselnussbraun mit ihren variierenden Binnenflächen. Und mehr noch der solitäre Armstuhl in Kupfer (1984), bei dem die Frage aufkommt, ob man seine Glieder nicht besser auf dem Schoß verstaut oder nach unten baumeln lässt. All das erinnert in dieser Reduktion natürlich an die viel frühere De-Stijl-Bewegung und den Rietveld-Stuhl.

Aber „es ist besser, ein Bett zu bauen, als einen Schlafstuhl oder eine Wohnmaschine zu produzieren”, erklärt der Künstler in seinem erhellenden Essay „It’s hard to find a good lamp”, und zum Essen oder Schreiben eigne sich ein gerader Stuhl eben am besten. Ein Credo, das sich wie aus den Statuten eines alten englischen Internats liest.

Warum auf den Stühlen sitzen?

Und doch ist da immer das entscheidende bisschen Mehr. Die vorstehende Kante, die an den drei Pinienholz-„Chairs”, mal in der Mitte, mal zehn Zentimeter überm Boden, herausragt. Sind es die Stühle, deren Lehnen mit der Tischkante abschließen und damit optisch fast verschwinden. Und ist es die Trennwand, die das Bett für die beiden Kinder so aufteilt, dass jedes seinen eigenen, separaten Bereich hat.

Überhaupt die Kanten und die eingelassenen Vertiefungen. Judd spielt hier, dekliniert diese Variationsmöglichkeiten als Raumauslotungen durch wie in seinen „16 unit wall-boxes” ohne Titel (1978), die einen Stock höher die ständige Sammlung zieren. Ohnehin kann man in der zehnteiligen Stuhlreihe aus Kiefernholz (1986) eine Fortsetzung dieser Schachtel-Skulpturen sehen.
Mag sein, dass Judd das zu weit geht. Den Vergleich lässt er immerhin zu. Insofern fügen sich die elementaren Möbel fabelhaft in seine Architektur und mehr noch in seinen minimalistischen Kanon der Kuben und Kisten. Und warum sollte man auf den Stühlen auch sitzen? Anschauen ist in diesem Fall doch viel schöner.

Bis 9. Oktober, Katalog 28 Euro

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.