Ganz betroffen vom Komischen
Premiere in der Philharmonie: Helga Pogatschars Auftragskomposition „Valentin 1945“ will die zwiespältige Persönlichkeit des Münchner Volkskünstlers vorführen.
Als Witzfigur verramscht, als putziger Lokalheld Träger eines Münchner Kolorits: Jetzt ist er 60 Jahre tot und darf gleich in die Philharmonie. Man gab „Valentin 1945“, eine Chorsymphonie nebst anderen Chorwerken. Capella Vocale München tupften „Flower Songs“ von Benjamin Britten, die Münchner Chorbuben und Chormädchen sangen auch Ludwig Prells „Isarmärchen“, der vianova- chor interpretierte Eichendorff- Vertonungen. Und der Chor des Bayerischen Rundfunks grüßte mit Mahler- Bearbeitungen.
Dann das Werk von Helga Pogatschar: Die Komponistin hatte von der Stadt den Auftrag zur musikalischen Beschäftigung mit Valentin erhalten. Drei Chöre, ein Kammerensemblemit vier Violoncellos, Blockflöte, Klarinette, Posaune, Klavier und Schlagzeug wurden aufgeboten, Karl Valentins Kartoffelprolog vom Band eingespielt, die einzelnen Sequenzen musikalisch bebildert.
Doing, doing, brrrrr – die Comic-Sprache ist anscheinend analog zum semantisch verstolperten Sprechen Valentins zu sehen. Maschinengewehr- Perkussion: Valentin, der Notstands-Künstler. Solistin Salome Kammer trug, Silbe für Silbe, den Valentin-Brief an den Münchner Oberbürgermeister vom Herbst 1945 vor. Marschtrommeln, Megaphone, zerdehnte Sentenzen im polyphonen Gegeneinander – Zeithintergrund und Biografie kondensieren im Arrangement, das die Last der Interpretation tragen muss.
Das Bizarre dieser Veranstaltung ist die Kluft zwischen der schulmeisterlichen Ausdeutung der komplexen Künstlerpersönlichkeit, deren abartiger Witz anscheinend nur im Betroffenheitskontext des Kriegsendes dem Intellekt genügt und dem schaurig schwarzen Komiker selber, dessen Anarchie eine Orchesterprobe zum Einsturz bringen konnte.
Semmelnknödeln oder Kartoffeln: Das Einfachste ist ja schon schwierig genug. Das Schöne an dieser Veranstaltung war das Misstrauen, mit dem die Hochkultur dem Volkskünstler immer noch begegnet. Klar, ein auf Kazoos trötender Chor zitiert das Komische. Wirklich komisch aber sind die ernsten Gesichter der auf die Kunstausübung Konzentrierten. Gemeint war das möglicherweise anders, aber der Valentin hätt’ seinen Spaß gehabt.
Christian Jooß
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