Fleischpasteten-Psycho
Der Regisseur Christian von Götz über das schwarze Musical „Sweeney Todd“ von Stephen Sondheim im Gärtnerplatztheater
Kenner schwärmen selbst von seinen Flops in höchsten Tönen. Ab heute wagt Münchens Zweit-Musiktheater einen Versuch mit einem Musical von Stephen Sondheim. Sein Thriller „Sweeney Todd“ lief 1979 am Broadway 16 Monate lang.
AZ: Herr von Götz, warum steht Sondheim bei uns im Schatten Webbers?
CHRISTIAN VON GÖTZ: Wenn ich einem amerikanischen Sänger erzähle, dass ich „Sweeney Todd“ inszeniere, sagt er „Wow! Absolute Hochkultur“. In Deutschland muss ich mich als Opernregisseur dafür rechtfertigen. Hier fehlt es an der Kennerschaft.
Viele Musicals sind ja auch ziemlich furchtbar.
Mich verbindet mit dem Genre eine Hass-Liebe. Seine Oberflächlichkeit geht mir total auf den Zeiger, andererseits haben Musicals die Möglichkeit, mit direkter Power auf die Leute zuzugehen. Das Tingeltangel-Zeugs interessiert mich überhaupt nicht.
Warum ist „Sweeney Todd“ unter Kennern berühmt, aber bei uns kaum zu sehen?
Schwarzer Humor hat es in Deutschland schwer. In diesem Musical werden Menschen zu Pasteten verarbeitet. Der Held hat durch seine unrechtmäßige Verbannung alles verloren. Durch seinen Rachefeldzug werden Opfer zu Tätern. Diese Spirale der Gewalt dreht sich bis zu einem Gemetzel von antiken Ausmaßen. Mit mehr Psychologie möchte ich diese Geschichte dem Zuschauer annähern.
Steht Ihnen die Verfilmung mit Johnny Depp im Weg?
Das Musical ist dadurch bekannter geworden. Sondheim-Kenner mögen den Film nicht, weil die Musik zum Soundtrack verkommt. Er lebt sehr von der Computer-Nachbereitung und den Kostümen.
Horror ist auf der Bühne immer heikel.
Ich wollte anfangs ganz ohne Theaterblut arbeiten. Aber das erwies sich als zu dogmatisch. Wenn man die im Musical übliche Verstärkung bewusst einsetzt, lässt sich eine unheimliche Atmosphäre schaffen. Ich lasse die Sänger oft sehr leise sprechen, um vom opernhaften Gestus wegzukommen und lege ein Brummen drauf. David Lynch macht das in seinen Filmen ähnlich.
Obwohl Sondheim so berühmt ist, verbindet man mit ihm keinen Hit.
Es gibt keinen Jazz und keine durchgehende Begleitung mit Schießbudenschlagzeug. Sondheim verwendet ein fast klassisches Orchester mit Cembalo und Orgel für Gothic-Effekte. Es gibt mit den Figuren verbundene Leitmotive. Eigentlich ist „Sweeney Todd“ eine moderne amerikanische Oper im Gewand eines Musicals.
Robert Braunmüller
Premiere heute, 19.30 Uhr, Auch am 22. und 27. 2. und im März. Karten Tel. 2185 1960
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