Falsche Vergemütlichung
Es reicht! Der Biergarten war ein ästhetischer Ort echter Gemütlichkeit unter freiem Himmel. Jetzt hat ihn zunehmende Übermöblierung optisch vermüllt, verkitscht und ruiniert. Ein Wutanfall
Verhüttelung: ein fantastisch plastisches, deprimierendes Wort! So nennen die Österreicher die Verschandelung ihrer Landschaft durch Bauten, Anbauten, Verbauten oder Jägereinzäunungen und sonstigen Zivilisationsdruck. Diese optische Umweltverschmutzung gibt’s auch im Kleinen, aber dabei nicht weniger verheerend: im Münchner Biergarten.
Sorgt eine Gips-Venus wirklich für mehr Erotik? Heben peinlich bairische, pseudo-humorige Spießer-Anweisungs-Gedichttafeln wirklich den Anstand? Und ist es nicht Geldgier, dass Biergärten zu völlig verbauten Allwetteranlagen hochgerüstet werden, nicht nur mit zahllosen Überdachungen und Vordächern, sondern auch mit High-Tech-Riesen-Markisen. Die vielen Blumenkübel sind nur ein Teil des Übels: überall Täfelchen, Fähnchen, Werbeaufsteller und die sich lianenhaft um alles schlingenden Kunststoff-Grünzeuggirlanden mit weiß-blauer Nylonbanderole. Man fragt sich: Wer hat so einen Geschmack? Wem hat das Bier den Blick vernebelt?
Bräuchte man nicht eine Art Biergarten-Ensemble-Schutzverordnung? Sagen Sie jetzt bloß nicht über das G’raffel: „Das ist doch gemütlich!“ Nein, es ist eine optische Umweltverschmutzung, eine Weiß-Blau-Versauung!
Für mich gehört in einen Biergarten die Bierbank, der Biertisch, die Kastanie, notfalls Linde, Ahorn, Eiche, Buche und zur Grundversorgung eine Theke. Das wäre die neue weiß-blaue Sachlichkeit – und die ist kitschfrei wirklich gemütlich.
Adrian Prechtel
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