Event oder Ereignis?

Wenigstens gesungen wurde eine Klasse besser als in Bayreuth: Andreas Kriegenburgs neue „Walküre” in der Bayerischen Staatsoper
Robert Braunmüller |
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Nichts hasst der Opernbesucher mehr, als auf die Musik zu warten. Gefühlte zehn Minuten lang stampfte am Beginn des dritten Akts ein Frauenbataillon in Unterröcken den Walküren-Rhythmus. Und die Reflexe der Wagnerianer funktionierten prächtig: Es gab höhnische Wünsche nach einer Zugabe nebst schütteren Buhs, ehe das Bayerische Staatsorchester mit dem echten Walkürenritt einsetzen durfte.

Szenisch war das zu nichts wirklich gut. Als Provokation führte es höchstens zu einer leichten Kräuselung im Wassergläschen. Auch sonst hielt Andreas Kriegenburgs „Walküre” kaum, was die aufregenden Bilder seines Bewegungschors im „Rheingold” versprachen. Der Regisseur zog sich auf gepflegtes, eher holzschnittartiges Psychologenhandwerk zurück. Die Stimmung eines permanenten Bürgerkriegs im ersten und zweiten Akt verflüchtigte sich im dritten, die Todverkündigung glich Fotos der Szene aus dem vorvorigen Jahrhundert. Wotans ungebrochenes Resignations- und Vaterpathos ward restauriert. Warum aber Wagners Mythos hier und jetzt auf der Bühne der Staatsoper erzählt werden musste, erschloss sich nicht.

Mal wieder der Speer überm Schreibtisch

Menschenfreunde werden begrüßen, dass Thomas J. Mayer (Wotan) und Katarina Dalayman (Brünnhilde) im dritten Akt sich aus Wasserflaschen laben. Kritiker und Wagnerianer dürfen eine stärkere Motivation solcher Requisiten verlangen. Im zweiten Akt gab es die obligate Reichskanzlei mit Hofschranzen sowie den Speer am Schreibtisch der Macht. Dort zerdrückte Wotan im Zorn eine läppische Zuckerflasche, ohne sich wie Normalos die Hand blutig zu schneiden. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Geschichte schaut anders aus.

Dafür wurde eine Klasse besser als zuletzt in Bayreuth gesungen: Thoms J. Mayers Wotan ist ein innerlich zerfressener, scheintoter Machtmensch. Der Sänger gestaltete intelligent und textverständlich, neigte aber zu einem etwas einfarbigen Überdruck. Aber viel spricht dafür, dass er der Heldenbariton seiner Generation werden könnte.

Fricka bellt, Brünhilde trompetet

Leider kämpfte Klaus Florian Vogt auch im zweiten Akt mit den Kantilenen der ihm zu tief liegenden Partie. Als Stolzing und Lohengrin ist dieser arg gehypte Sänger ideal, als Siegmund eine Fehlbesetzung. Aber Jonas Kaufmann war offenbar nicht frei. Sophie Koch bellte ihre Fricka wie im „Rheingold”, die Dalayman trompetete die Brünnhilde eindrucksvoll, ohne das Gefühlszentrum des Hörers zu erreichen. Das blieb Anja Kampe vorbehalten: Ihre schluffig kostümierte, aber perfekt gesungene und zutiefst menschliche Sieglinde war neben Ain Angers schwarzem Hunding das Ereignis der Aufführung.

Kent Nagano wiederlegte alle Klischees vom unterkühlten Analytiker und reihte sich würdig in die Tradition der großen kapellmeisterlichen Münchner „Ring”-Generalmusikdirektoren. Bisweilen knarzte und krachte es geharnischt wie bei Knappertsbusch, manches, wie die forcierten Bläsersoli nach dem Abgang der Walküren im Herzen des dritten Akts, könnte ein dezentes Piano vertragen.

Zum Feuerzauber ließ der Bühnenbildner Harald B. Thor mit viel Stadttheaterpragmatismus einen Stempel hochfahren, auf dem Brünnhilde sich zur Ruhe bettete. Zur Beschwörung Loges erschien Alberichs Feuerschlange aus „Rheingold”. Ein schönes Bild, hinter dem entweder eine superschlaue Idee oder – wahrscheinlicher – die pure Gedankenlosigkeit steckt. Aber erst nach der „Götterdämmerung” werden wir wissen, ob dieser „Ring” ein Ereignis war oder nur eine typische Münchner Oberfläche mit nichts darunter.

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