Es weint ein Sänger am Mississippi

Alle Wege führen zu einem Song: Bob Dylans neues Album der Alternativ-Versionen
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Alle Wege führen zu einem Song: Bob Dylans neues Album der Alternativ-Versionen

Mit jeder Entscheidung die ein Mensch trifft, gabelt sich der Weg. Dreht er sich um, blickt er zurück auf eine Landkarte mit Wegen so fein, wie die Krähenfüße an seinen Augen, die alle unbeschritten geblieben sind. „Tell Tale Signs: The Bootleg Series Vol. 8“ – Bob Dylan blickt bereits zum 8. Mal zurück. Diesmal reicht das von „Oh Mercy!“, dem Album von 1989, bis zum 2006er-Werk „Modern Times“.

Alternativ-Versionen, Live-aufnahmen und viel Unveröffentlichtes – 27 Songs auf zwei CDs und ein ausführliches Booklet. Kein einziges dieser Lieder ist entbehrlich. „Mississippi“ gibt es in zwei Versionen von 1989. Die eine mit tupfenden Gitarren und einem am Flussufer weinenden Sänger, durch die andere schreitet Dylan mit wehender, schwarzglänzender Pelerine, als finstrer Chronist des Schicksals.

Zerrinnendes Glück

Das schöne Spiel, das diese CD vorschlägt, ist, über die Wendungen nachzudenken, die die Dylan-Alben hätten nehmen können. „Series Of Dreams“ hätte mit prophetischem Sendungsbewusstsein Kerben in das etwas flächig geratene „Oh Mercy!“ geschlagen. „Dreamin’ Of You“ hätte mit seinem ganz Dylan untypischen Champagner-Piano und dem leicht funky Schlagzeug dem schwermütigen „Time Out Of Mind“ etwas Übermut gegeben. Und wie leicht hätte dieses so einfach vom zerrinnenden Glück erzählende „Red River Shore“ neben den von der Vergeblichkeit selbst der Trauer berichtenden Songs dieses Albums bestehen können.

„Nothin can heal me now / but your touch“, predigt Dylan in „Can’t Wait“. Versionen später wird daraus „Till I Fell In Love With You“ werden. Vor allem die Blues-Nummern sind offen nach allen Seiten. Durch ihre Drei-Akkord-Struktur fließt der Sermon des Sängers. Die Tradition, aus der Dylan schöpft, war schon als er „Songs to Woody“ schrieb, zu großen Teilen eine Tradition, die er selber für sich schuf. Auch der achte Teil der Bootleg-Serie lässt ahnen, wie groß die Welt ist, die sich dieser Sänger geschaffen hat. Ein Ort, sich zu verstecken, und immer wieder als anderer zu erscheinen.

Christian Jooß

Bob Dylan: „Tell Tale Signs: The Bootleg Series Vol. 8“ (Columbia / SonyBMG)

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