Es lebe die Neurose!

Die Familienkomödie „C’est la vie“ ist in Frankreich ein großer Erfolg und kommt morgen in die deutschen Kinos
von  Abendzeitung

Die Familienkomödie „C’est la vie“ ist in Frankreich ein großer Erfolg und kommt morgen in die deutschen Kinos

Neun Nominierungen beim französischen Filmpreis César, drei Siege und ein Millionenpublikum in Frankreich: „C’est la vie“ ist eine Komödie des Jungregisseurs Rémi Bezançon, die morgen in den deutschen Kinos startet. Darin wird eine sympathische fünfköpfige Familie porträtiert: Wenn der Nachwuchs erwachsen wird, müssen die Eltern ein neues Leben unabhängig von den Kindern finden.

AZ: Monsieur Bezançon, überall sind Scheidung, Trennung, Patchwork-Familien oder Kinderlosigkeit ein Thema. In Frankreich scheint die Familienwelt noch in Ordnung, wenn man Ihrem Film glaubt.

RÉMI BEZANÇON: Vollkommen neurotische Familien darzustellen, das macht der französische Film schon auch. Da explodiert eine ganze Menge.

Aber es wird als Komödie gezeigt, mit Leichtigkeit. Vielleicht ist Frankreich auch einfach konservativer?

Wir teilen mit Italien und den romanischen Ländern stärker die Familie als Mittelpunkt des Lebens. Und es bleibt eine große Sympathie zwischen den Generationen. In Deutschland sind die Familien vielleicht stärker belastet durch die Geschichte: Flucht, Vertreibung, aber auch die Verstrickung in Nazi-Zeit und DDR-System. Das hat das Zusammenleben schwerer gemacht.

Auch in Ihrem Film ist das schwierigste Verhältnis das des Großvaters zum Vater.

Ja, vor 40, 50 Jahren wurde zwischen den Generationen nicht so viel gesprochen. Man hat sich nicht mit den Kindern und ihren Ängsten und Wünschen auseinander gesetzt.

Macht das heute das Zusammenleben leichter?

Ja. Zwar funktionieren Eltern in der Rolle als „beste Freunde“ nicht wirklich. Und ich zeige ja, dass ewig jung bleiben wollende Mütter sympathisch peinlich sein können. Wie Marie-Jeanne, die wieder studieren will und mit Kommilitonen, die ihre Kinder sein könnten, rumalbert und einen Joint raucht.

Das macht Kinder nervös, weil sie sich gegen die Liberalität der Eltern nicht abgrenzen und rebellieren können.

Ist das so schlimm? Kinder wohnen heute länger zu Hause. Das ist doch ein gutes Zeichen, dass das Generationenverhältnis entspannter ist als früher.

Ihr Film ist in Frankreich eine Erfolgskomödie. Aber eigentlich gibt es viele tragische Konflikte.

Kinder ziehen aus, Vater wird krank, Tochter ist unglücklich: Das sind tragische Elemente, die die Komödie entschärfen und vor naiver Lächerlichkeit bewahren. Aber natürlich hätte man daraus auch eine Tragödie machen können. Ich finde meinen Weg aber viel charmanter.

Wie bringt man Leute im Kino zum Lachen?

In deutschen Filmen mit viel Blödsinn, habe ich gehört. Aber wenn nicht gerade die Schadenfreude angesprochen werden soll, mit intelligenten Wiedererkennungseffekten und gutem Timing. So lachen Menschen auch über sich, und das regt zum heiteren Nachdenken an.

Sie haben das Klischee benutzt, dass sich in Frankreich vieles um den Wein dreht.

Vielleicht wirkt das für deutsche Zuschauer klischeehaft, aber nicht für die Franzosen. Ich selbst habe die Beschäftigung mit Weinkultur in meiner Familie erlebt. Vielleicht ist das bei jungen Leuten sogar eine Gegenbewegung zur Technisierung unserer Welt: Wein ist etwas Traditionelles. Und war für mich ein wunderbares Symbol für das, was ich erzählen wollte: den Zeitablauf in Familien. Wein ist jung, reift, altert und stirbt, wie ein Lebewesen, ein Mensch.

Nimmt man in Frankreich den deutschen Film wahr?

Leider wenig. Im Ausland setzten sich meist nur kräftige, vitale Strömungen durch. Das gab es im Deutschland der 70er mit dem Autorenkino und als Exportschlager mit dem melancholischen Ästheten Wenders, dem aufklärerischen Schlöndorff, dem kunstbesessenen Fassbinder. Seitdem ist es stiller. Mit „Good Bye, Lenin!“ und „Das Leben der anderen“ ist neues Interesse entstanden. Das sind gute Filme, die aber keine neuen Stilimpulse geben.

Warum funktioniert der französische Film so gut in Frankreich?

Wir sind ein patriotisches Land mit eigenem Starkult und Fernsehsendern, die per Gesetz Filme mitproduzieren und französische Filme senden müssen.

Adrian Prechtel

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