Es gibt keinen inneren Frieden
Der Dirigent über die Schwierigkeit von Beethovens „Missa solemnis“ und den Rummel um seinen Sohn
Mit Chor und Orchester der Klangverwaltung studiert er derzeit im Herkulessaal Beethovens „Missa solemnis“ ein. Aber als Vater des neuen Bundeswirtschaftsminsters ist der Dirigent fast noch mehr gefragt. Enoch zu Guttenberg wurde geboren 1946 in Guttenberg, Oberfranken. 1967 übernahm er die Chorgemeinschaft Neubeuern und machte sie berühmt.
AZ: Herr Guttenberg, Sie wirken leicht genervt.
ENOCH ZU GUTTENBERG: Mir geht der ganze Rummel auf den Keks. Ungefähr 30 verschiedene Fernsehteams haben unser fränkisches Heimatdorf für zwei Wochen aufgemischt. Es ist doch nichts Besonderes, dass jemand politische Verantwortung übertragen bekommt.
Es gibt offenbar ein tiefes republikanisches Misstrauen gegenüber dem Adel.
Das verstehe ich, sofern es um Gestalten der Yellow Press geht. In unseren Familien gibt es auch nicht mehr Begabungen als anderswo.
Reden Sie mit Ihrem Sohn über Politik?
Schon immer. Wir sind eine sehr politische Familie. Ich bin 1946 geboren, meine beiden Großväter waren im Widerstand gegen Hitler. Ich wurde erzogen, für meine Überzeugungen gerade zu stehen und habe versucht, das auch an meine Kinder weiterzugeben.
Worüber streiten Sie?
Ich bin überzeugt, dass uns unsere Nachkommen nicht an der Zahl der Arbeitslosen messen werden, sondern danach, wieviel Luft und Wasser wir ihnen übrig gelassen haben. Die Klimakatastrophe ist für mich die zentrale Frage des 21. Jahrhunderts.
Warum singen in der „Missa“ nicht die Neubeuerner, sondern der Chor der Klangverwaltung?
Die Chorgemeinschaft Neubeuern ist ein Laienchor. Mit ihnen wäre die „Missa“ machbar, aber ich will die jungen Stimmen nicht verheizen. Der Chor der Klangverwaltung besteht aus handverlesenen Profis aus dem süddeutschen Raum. Er arbeitet projektbezogen wie das Orchester.
Warum ist die „Missa solemnis“ so heikel?
Beethoven verstand nichts von Stimmen. Vieles ist in einer extrem hohen Lage komponiert. Aber die „Missa“ ist auch schwer zu dirigieren: Ein berühmter Kollege verglich Aufführungen mit einem gotischen Dom, an dem immer etwas unvollendet bleibt.
Haben Sie schon eine perfekte Aufführung erlebt?
Einmal, im Antrittskonzert von Colin Davis mit Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, weil er versuchte, den Inhalten nachzuspüren. Wer mit einem normalen kapellmeisterlichen Handwerk an dieses Stück herangeht, bleibt bei der „Missa“ im Vorhof, weil Beethoven seine Zweifel mitkomponiert hat. Und außerdem ist das Werk voller musikalischer Bilder.
Ein Beispiel, bitte.
Auf vielen Gemälden der Verkündigung reicht ein Strahl von der Taube des Heiligen Geists zum Ohr Mariens, um sie mit dem göttlichen Samen zu befruchten. Das Ohr galt als keuscheste Öffnung des Menschen. Auf die Musik übertragen, ist daher das angemessene Instrument für „Et incarnatus est“ die Flöte. Der Mund berührt ihre Öffnung beim Spielen nicht. Sie wird vom Atem nur gestreift.
Beethovens Messe endet mit einer „Bitte um inneren und äußeren Frieden“.
Aber er kommt nicht. Deshalb endet die „Missa solemnis“ auch offen, ohne Kadenz. Zuvor rufen die Trompeten zum Krieg. Ebensowenig wie äußeren gibt es nach Beethovens Ansicht einen inneren Frieden. Deshalb ist die letzte Fuge so verrückt und ohne Rücksicht geschrieben. Wenn die Leute beim Hinausgehen sagen, es war schön, dann habe ich etwas falsch gemacht.
Robert Braunmüller
Sa, 20 Uhr, Restkarten an der Abendkasse im Herkulessaal