Erst mal ein paar kleine Schritte

Christine Stelzig soll das Völkerkundemuseum aus dem Tiefschlaf wecken. Mit der AZ sprach die neue Direktorin über ein altes „Schatzkästlein” und neue Ideen, über Jurassic Parc und das leidige Geld
Christa Sigg |
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Die Wände im Büro sind noch kahl. Dafür liegt jede Menge Arbeit auf dem Schreibtisch. Und aus zarten Designertässchen duftet Earl Grey. Christine Stelzig würde man kaum am Amazonas vermuten. Oder in ein Indianer-Tipi stecken. Dabei kam mit „Winnetou III” ihr Interesse an der Völkerkunde. Das ist eine Weile her. Jetzt soll die Ethnologin das Völkerkundemuseum an der Maximilianstraße auf Vordermann bringen.

AZ: Frau Stelzig, wie schläft sich’s im Museum?

CHRISTINE STELZIG: Sehr gut – wohl behütet! Zur Zeit habe ich hier noch das Gästezimmer. Und in einem Haus mit dieser Tradition und all diesen Kostbarkeiten schläft sich’s wie in einem Schatzkästlein.

Man könnte die Vermutung hegen, Sie wollen mit diesem ziemlich verschlafenen Haus endlich aufwachen.

In einem Interview mit meinem Vorgänger Claudius Müller war vor zehn Jahren schon von einem schlafenden Riesen die Rede. Das ist faszinierend, denn ich bin der Meinung, dass das überhaupt nicht stimmt.

Also hat das Haus ein völlig falsches Image?

Schon. Wir haben zur Zeit neun Ausstellungen, sind in München das Museum mit den am häufigsten wechselnden Ausstellungen. Und was die Besucherzahlen anbelangt, befinden wir uns im guten Mittel.

Viele, viele kleine Ausstellungen. Aber was fehlt, ist die große Schau. Damit erreichen Sie doch eine ganz andere Öffentlichkeit.

Natürlich würde ich auch gerne Blockbuster-Ausstellungen machen. Ich hatte jetzt sogar ein Angebot vom Musée du Quai Branly in Paris. Aber ich kann nicht zusagen, ohne zu wissen, ob das überhaupt zu finanzieren ist. Solche Großausstellungen haben eine Vorlaufzeit von zwei, drei Jahren. Und Branly wollte für das Projekt allein schon eine Ablösesumme von 70000 Euro, garantierte Katalogabnahme...

Was Ihr Etat nicht zulässt?

Ich kenne unseren Etat nicht so lange im Voraus.

Es muss ja nicht gleich die Blockbuster-Ausstellung sein. Könnte man nicht auch ganz grundlegende Themen aufgreifen wie Essen und Trinken, Familie, Tod? Das spricht jeden an.

Die klassischen Themen der Ethnologie – so etwas strebt mir mit einer großen Ausstellung 2015 vor, aber dazu kann ich noch nichts sagen. Natürlich gehört dazu auch immer wieder der Kulturvergleich mit uns, wo stehen wir? Haben wir vergleichbare Phänomene? Nehmen Sie nur mal das Thema Tätowierung. Über die Gesichtstätowierungen der Chin-Frauen in Birma sind die Besucher irritiert, dabei ist bei uns mittlerweile auch einiges geboten.

Das wären doch schöne Anknüpfungspunkte.

Zum Beispiel. Ich möchte mit unseren Ausstellungen auch sehr viel politischer werden, mit Themen provozieren. Natürlich haben wir diese unglaublich umfangreiche historische Sammlung von 160 000 Objekten, damit können sie heute aber schwerlich die Gegenwart darstellen. Auch Afrika ist von der Globalisierung stark tangiert, sie haben in Nairobi Internetcafés und technische Voraussetzungen, die sie woanders nicht finden. So etwas in einem Haus auszustellen, das vor allem auf eine historische Sammlung zurückblickt, ist schwierig.

Ist die Globalisierung nicht auch eine Chance für ein Völkerkundemuseum?

Einerseits. Andererseits gingen die Menschen früher, als kaum jemand reisen konnte, vor allem in völkerkundliche Sammlungen, um die große weite Welt kennen zu lernen. Heute sind Flugtickets zu Spottpreisen zu haben, und im Internet klickt man sich schnell mal ans andere Ende der Welt.

Und weiß trotzdem nicht, wie man sich dort verhalten muss, wenn man Geschäfte machen will. Die großen Firmen müssten Ihnen eigentlich das Haus einrennen.

Ein schöner Gedanke. Aber im Ernst. Die Naturkundemuseen haben es durch „Jurassic Parc” geschafft, aus der verstaubten Ecke rauszukommen, die Völkerkundemuseen nicht. Nach wie vor wird der Begriff als Synonym für die Kolonialisierung verwendet, auch für Völkerschauen. Um davon loszukommen, haben sich manche umbenannt in „Museum der Kulturen”. Oder „Haus der Weltkulturen”.

Was es womöglich leichter macht?

Wir werden das Staatliche Museum für Völkerkunde bleiben. Für mich ist das kein negativ besetzter Begriff. Ganz klar: Wir müssen die Gegenwart ins Haus holen. Auch Objekte aus anderen Bereichen und Museen. Und wir sollten uns nicht damit begnügen, ein gefragter Leihgeber zu sein.

Sie sind jetzt zwei Monate im Amt, haben eine Baustelle übernommen, und jetzt fehlt auch noch das Geld für die Fassadenrevonierung am Westflügel. Sind Sie desillusioniert?

Nein, gar nicht. An der Renovierung bleiben wird dran. Und die wenigen Dinge die drin sind, gehen wir an. Jetzt eben erst in kleinen Schritten.

Sollte das Museum nicht seine Highlights besser präsentieren? Das wäre vergleichsweise günstig.

Kommt alles. Ich wünsche mir Abbildungen der zehn wichtigen Werke im Eingangsbereich. Die Besucher sollen sich auch besser orientieren können. Und wir müssen etwas von diesem „Von Kollegen für Kollegen” wegkommen, verständlicher für unsere Besucher werden.

Dann brauchen Sie eigentlich nur noch eine Etat-Erhöhung oder spendable Sponsoren?

Beides wäre außerordentlich wünschenswert. Mit 700 Mitgliedern haben wir übrigens einen der größten Freundes- und Fördererkreise eines völkerkundlichen Museums in Deutschland. Sie unterstützen uns bei der Restaurierung von Objekten und Publikationen. Aber natürlich reichen die Beträge nicht aus.

Kann eine Ethnologin eigentlich noch entspannt Urlaub machen?

Jein. Auch in Museen fange ich sofort an zu vergleichen. Vielleicht gehe ich deshalb so gerne wandern.

Da ist München doch ideal.

Allerdings. Jetzt fehlt mir nur noch eine Wohnung. In Frankfurt hatte ich eine 32-qm-Dachterrasse …

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