Erratisches Schnarchen
Auch eine knappe Theaterstunde kann sich anfühlen wie eine Ewigkeit. Wenn sie überstanden ist, freut man sich, dass man noch lebt. Um das Leben dreht sich auch „mystery – mach dir kein bild” von Helga Pogatschar. Genauer gesagt geht es in dieser Video-Oper für zwei Sänger und Streichquartett, die bei der Münchener Biennale im Schwere Reiter uraufgeführt wurde, um Sein und Schein.
„Twitterst du noch, oder lebst du schon?”, das ist hier die Frage – frei nach dem Slogan einer Möbelkette. Pogatschar selber bemüht im Programmheft den französischen Philosophen René Descartes: „Ich facebooke und twittere, also bin ich.”
Wie schon in ihrer Video-Oper „peep!” beschäftigt sich die Münchner Komponistin auch in „mystery” mit erfundenen Realitäten und Identitäten in den Medien. Allerdings verwischen im neuen Werk die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Deswegen werden die zwei echten Sänger – Monika Lichtenegger (Sopran) und Christian Hilz (Bariton) – mit ihren eigenen Schatten und Spiegelungen konfrontiert, die per Video eingeblendet werden (Video: Jörg Staeger). Diese Scheinfiguren streuen Gerüchte über das Paar, wobei sich bald schon die Sprache aufhebt.
Immerhin erfährt man, dass sie „super Titten” hat und einen „super Arsch”. Und weil das alles auch noch interaktiv sein sollte, rannten die Sänger den Video-Schatten hinterher. Diese Bewegungen werden spontan während der Aufführung gesteuert. Doch leider lenkt nicht das Publikum die Schatten, sondern die Regie: Eine kritische, technisch innovative Auseinandersetzung mit dem Internet sieht anders aus. Das war Kuscheltheater mit einem ausgeprägten Schnarchfaktor. Dass es bei der Uraufführung zu einer technischen Störung kam, fiel angesichts der einfältigen Video-Bilder nicht weiter auf.
Und so fiedelten Joe Rappaport und Luciana Beleaeva (Violine) sowie Gunter Pretzel (Viola) und Graham Waterhouse (Cello) zwanzig lange Minuten minimalistische Fingerübungen, ohne dass auf der Bühne sonst etwas geschah. Ein „erratischer Block” sollte das sein, der „ohne Punkt und Komma rastlos dahinmäandert”, so Pogatschar im Programmheft. Manches Schultheater hat die medialen Scheinwelten und das Internet schon viel mutiger und bissiger reflektiert.
Noch heute (Samstag), 20.30 Uhr, Schwere Reiter
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