Erotische Süßspeise
Der sechste Film: „Harry Potter und der Halbblutprinz“ lässt den Zauberhelden noch nicht im Liebesleben ankommen. Aber die Hormone bilden bereits so manche Triebfeder
Über London braut sich ein Gewitter zusammen – kein gewöhnliches, sondern eines, das gleich die moderne Millenniums-Hängebrücke zerreißen wird. Tödliche Rauchblitze schießen aus drohenden Kumuluswolken. Es sind Todesser, die Boten Lord Voldemorts, der jetzt die Herrschaft des Bösen etablieren will.
Auf einem Jungen, Harry Potter, ruht die Hoffnung. Aber Auserwählt-Sein ist Privileg und Fluch. Das offenbart sich gleich in der ersten Szene als Harry (Daniel Radcliffe) in einem U-Bahn-Café Zeitung liest. Die nette mulattische Studentenbedienung bandelt mit dem – im Film – schüchternen 17-Jährigen an. Sie machen ein Date nach Feierabend aus. Aber als Harry vorfreudig aus dem Café drängt, wartet dort ein alter Bekannter: Dumbledore, Schuldirektor des Zauberinternats Hogwart. Und er mahnt den Hormongeschüttelten väterlich an das schillersche Helden-Ideal: Pflicht vor Neigung!
Die vornehme englische Art
So muss im sechsten „Potter“-Film Harry das Knutschen seinem besten Freund Ron (Rupert Grint), der mittlerweile auch physisch am erwachsensten aussieht, überlassen. Die im Buch geschilderte Verliebtheit Harrys in Ginny bleibt im Film beim actionreich düsteren Kampf gegen Voldemort auf der Strecke.
Witzig eingefangen ist aber, wie die wohlerzogenen britischen Internatler beginnen, obszön herumzualbern – natürlich noch innerhalb der vornehmen englischen Art, so dass der Film ab zwölf Jahren ohne Erwachsenenbegleitung freigegeben ist.
Mit Contenance
Standhaft wohlerzogen bleibt noch die charmante Streberin Hermine (Emma Watson), auch wenn bei einem Professoren-Dinner ein frecher Aspiranten-Mitschüler bei der Nachspeise so provokativ seine Finger leckt, dass ihr erregt übel der Magen kribbelt.
Überhaupt hat Regisseur David Yates nur scheinbar unbewusst subtil einen erotischen Subtext eingewoben, aus dem er bei aller Düsterkeit der Bedrohungsgeschichte witzige Funken schlägt: So bückt sich Hermine und bindet Harry die Schnürbändel. Harry selbst vermeidet Gespräche über Sex, indem er als Übersprungsgedanke mit Ron über Mädchenhaut diskutiert.
Dem Buch treu
Aber das Erwachsensein ist schwer aufzuhalten: Ein pennälerischer erster Pub-Besuch wird riskiert, und die Jungs haben beim 3-D-Fußball Quidditch Angst, sich vor den Mädchen zu blamieren. Die wiederum schwärmen von ihren heimlichen Helden.
Neben diesen sympathisch eingebauten Hormon-Spritzern ist David Yates ein braver Abfilmer und begabter Verdichter eines 600-Seitenbuchs auf zweieinhalb Filmstunden, auch wenn skurrile Neben-Episoden – wie eine Riesenspinnen-Beerdigung – seltsam bruchstückhaft in der Handlung stehen. So ist dem Film insgesamt doch Großes gelungen: spielerischer Zauber, Jugendfreiheit bei glaubwürdigem Kitzel und doch echter – auch erwachsener – Spannungs-Trickbombast.
Adrian Prechtel
Kino: Cadillac, Gloria, Leopold, Mathäser, CinemaxX, Gabriel, Rio, Royal, Solln, Münchner Freiheit sowie Cinema, Museum und Mathäser (OV) R: David Yates B: nach J.K. Rowling „Harry Potter und der Halbblutprinz“ (GB, 150 Min.)
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