Erotik als Belästigung?
Die aktuelle Sexismus-Debatte in Deutschland hängt nach Ansicht des Philosophen Robert Pfaller mit einer zunehmenden Sexualfeindlichkeit zusammen. „Das Problem ist, dass heute viele Menschen jede Form des erotischen Verhaltens in der Öffentlichkeit grundsätzlich als Belästigung empfinden“, sagte der Wiener Professor der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.
„Die Gesellschaft blickt sehnsüchtig nach dem Sex, ist aber nicht mehr dazu in der Lage, ihn als normalen Modus des Lebens zu begreifen.“ „Etwas vergröbert könnte man sagen, wir haben es fertiggebracht, uns innerhalb weniger Jahre die Geschlechterverhältnisse völlig zu vermiesen“, sagte Pfaller. „Die Männer schämen sich dafür, Männer zu sein, sie sind immer Täter und Belästiger. Die Frauen ärgern sich aber auch, weil sie immer die Opfer sind.“
Die Menschen müssten lernen, ihre Rollen wieder lustvoller zu spielen. Pfaller plädierte für eine Kultur, „die einen bestimmten erotischen Umgang als Normalton im Alltag gutheißt“. Die Sexismus-Debatte sei auch ein Effekt der Entpolitisierung, sagte Pfaller. Sie sei ein Ablenkungsmanöver: „Man sollte besser darüber nachdenken, wie der gesamtgesellschaftliche Reichtum in den vergangenen dreißig Jahren verteilt worden ist. Alle anderen Streitereien, jung gegen alt, Mann gegen Frau, muss man wirklich mal aufschieben.“
Pfaller, Jahrgang 1962, ist Professor für Philosophie an der Universität für angewandte Kunst Wien. In seinem vielbeachteten Buch „Wofür es sich zu leben lohnt“ (2011) befasste er sich damit, dass unsere Kultur sich den Zugang zu Großzügigkeit und Genuss versperrt habe. In seinem neuen Buch „Zweite Welten. Und andere Lebenselixiere“ treibt er seine Kulturkritik nach Angaben des S. Fischer Verlags
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