Eros beim Monopteros
„Sieben Jahre“: Der Schweizer Romancier Peter Stamm hat einen Roman geschrieben, in dem München eine der Hauptrollen übernimmt – und hier vor allem der Englische Garten
Manchmal ist alles ganz leicht, besonders, wenn man jung ist, in einem Biergarten nahe des Englischen Gartens sitzt und der Sommer seinem Namen gerecht wird. „Das Licht war blendend weiß“, schreibt Peter Stamm in seinem neuen Roman „Sieben Jahre“; im Idyll lässt er drei Architektur-Studenten sitzen und zwei Mädchen ins Gespräch einspinnen.
Doch weil neben dem Hellen immer auch Dunkles existiert, gibt es eine Dritte, die im Schatten der Linden sitzt. Iwona ist Polin, wortkarg, reizlos, doch sie lässt sich, einmal angesprochen, nicht mehr abschütteln, erscheint zur Verabredung beim Monopteros, kommt mit zum Bad im Eisbach, kehrt mit zum Biergarten zurück. Sie hat sich in einen der Studenten, Alex, verliebt. Und obwohl sie ihn abstößt, lässt er sich von dem Gefühl, das sie für ihn hat, anziehen. Nach einem Techtelmechtel will er sie nie wieder sehen und verliert sie doch nie aus den Augen, weil sein Widerwille genauso groß ist wie die Freiheit, die er in ihrem Beisein spürt.
Sirenengesänge
Eine merkwürdige femme fatale hat Peter Stamm, Schweizer Autor auf Münchner Abwegen, mit Iwona erfunden. Ihr Schweigen, genauso beharrlich wie ihre Liebe, liegt gewichtig auf seinem vierten Roman, dessen Sprache stamm-üblich klar, wie ein Schattenriss, konturiert ist. Simpel sind die Sätze und ziehen den Leser wie Sirenengesang in eine Geschichte hinein, die am Ende als komplexe Odyssee eines Mannes erscheint, der sich zwischen den Polen einer risikolosen Lebensreise und eines irrationalen Abenteuers nicht entscheiden kann.
Eine sichere Bank könnte für Ich-Erzähler Alex seine Freundin und spätere Frau Sonja sein, schön und smart ist sie, aus wohlbehüteten Starnberger Kreisen und mit dem Willen ausgestattet, Karriere als Architektin im sozialen Wohnungsbau zu machen. Ihre Zielstrebigkeit zieht ihn mit und lässt ihn doch kaum mitkommen. Stamm tut den Abgrund auf zwischen den Ambitionen einer Generation, die sich selbst verwirklichen will, und den Möglichkeiten, die Traumvorstellungen angesichts einer Realität voll anderer Seinswünsche in die Tat umzusetzen.
Dass er doch nur mittelmäßig sein könnte, diese Angst beschleicht Alex regelmäßig, und was für eine Erleichterung ist dann Iwona, die sich ihm anspruchslos hingibt. Frage bleibt in Hinblick auf Stamms spannende Konstruktion, ob so eine Figur wirklich eine Polin sein muss, eine, die in einer christlichen Buchhandlung, dann als Putzfrau arbeitet und der doch, zumindest vom Erzähler Alex, unterstellt wird, dass ihr Leben glücklicher als seines sei, weil eine unerfüllte Liebe zu einem attraktiven deutschen Mann – aber immerhin: eine Liebe! – die Kälte ihres Alltags befeuert.
Architektur als Metapher
Iwona bleibt eine exotische Leerstelle; was in ihr vorgeht, als sie von Alex ein Kind erwartet und dieser ihr den Vorschlag macht, dass er und Frau Sonja das Baby aufziehen, lässt sich nur erahnen. Alex muss sich mit der Undurchdringlichkeit aller Fassaden quälen, am Romananfang beobachtet er seine Frau durch das Schaufenster einer Münchner Galerie und versucht, ihr Verhalten zu deuten. Stamm erweist sich erneut als Meister darin, die Menschen in all ihren Gesten, Bewegungen, Äußerungen so unmittelbar zu beschreiben, dass ihre bleibende Fremdheit umso schmerzhafter erscheint.
Auf zwei Zeitebenen spielt sich der Roman ab, einer befreundeten Künstlerin berichtet Alex im Rückblick von seiner Ehe und Affäre, von den Krisen, die ihn auch beruflich befallen. Die Architektur nutzt Stamm als Daseinsmetapher, man konstruiert sich seine Existenz, muss sie abreißen, wieder aufbauen. Sein bis dato längster, großartiger Roman ist von stiller Melancholie, ohne depressiv zu werden: Das Glück mag eine Eintagsfliege sein. Aber davon gibt es viele.
Michael Stadler
Peter Stamm: „Sieben Jahre“ (S. Fischer , 304 S., 18.95 Euro)