Ernst-Wilhelm Händlers Gesellschaftsroman "München"

Ernst-Wilhelm Händler nimmt sich in seinem Roman "München" die Kunstszene der Stadt vor
Robert Braunmüller |
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„Der PIN-Ball war eines der wenigen gesellschaftlichen Ereignisse in München, die zu Recht als solche bezeichnet werden“, heißt es in Ernst-Wilhelm Händlers Roman. Und falls Sie nun auch hinwollen: Das nächste Fest der Freunde der Pinakothek der Moderne findet am 26. November in der Rotunde des Museums statt.
York Hovest Photography „Der PIN-Ball war eines der wenigen gesellschaftlichen Ereignisse in München, die zu Recht als solche bezeichnet werden“, heißt es in Ernst-Wilhelm Händlers Roman. Und falls Sie nun auch hinwollen: Das nächste Fest der Freunde der Pinakothek der Moderne findet am 26. November in der Rotunde des Museums statt.

Ernst-Wilhelm Händler nimmt sich in seinem Roman "München" die Kunstszene der Stadt vor

Wir bewegen uns in den besten Münchner Kreisen. Die Mutter der Hauptfigur sammelte Taschen von Hermés und Chanel, die Heldin benutzt ausschließlich solche der Marke Bottega Veneta. Sie bewohnt eine Luxusvilla in Grünwald, verfügt außerdem über eine gläserne Design-Praxis in Schwabing und kann es sich leisten, ein Grundstück am Tegernsee ungenutzt liegen zu lassen. Ihre beste Freundin trägt einen Pullover von Miu Miu, einen Schlangenhaut emulierenden Minirock von Martin Margiela und eine Brille von Mykita. Ernst-Wilhelm Händlers „München“ brennt ein Brillantfeuerwerk an Luxus-Marken und Münchner Promi-Namen ab. Das P1, die Pinakothek der Moderne, das Haus der Kunst und der Prada-Laden in der Residenzstraße sind die Schauplätze dieses Gesellschaftsromans. Eine der Figuren wohnt im Herzogpark gegenüber Thomas Manns ehemaliger Villa, in deren Salon der Bankier Alexander Dibelius einen Glasboden hat einziehen lassen, durch den man auf den Pool blickt.

Aber Obacht! Das Buch ist kein „Kir Royal“ als Roman. Dafür ist es viel zu sperrig geschrieben – in der Nachfolge von Robert Musil oder Hermann Broch. Und die abgehobene Lebensweise der Figuren, für die eine Fahrt mit der U 8 wegen der komplexen MVV-Tarife ein Abenteuer darstellt, kann einen beim Lesen richtig wütend machen. Oder zum Klassenhass anstiften – die entsprechende politische Gestimmtheit vorausgesetzt.

Sympathie zieht das Personal des 1953 in München geborenen Autors nie auf sich. Thaddea, die neurotische Heldin, ist eine Psychotherapeutin. Eine schlechte, wie man angesichts der Schilderung der Sitzungen mit ihren Klienten hinzufügen muss. Scheintot lebt sie vor sich hin, seit ihr als Kind ein Lieferwagen über die Füße fuhr. Händler schildert diesen Unfall mit einer dermaßen distanzierten Eisigkeit, dass einem bei der Lektüre schaudert und die eigenen Zehen schmerzen.

Thaddea hat eine Beziehung mit einem blonden Zombie aus dem Kunsthandel. Liebe oder gar Leidenschaft ist nicht im Spiel. Das Verhältnis zerbricht auf den ersten Seiten. Da wird dieser Ben-Luca nach einer Party der Freunde der Pinakothek der Moderne mit Thaddeas bester Freundin versehentlich für eine Nacht in diesem Museum eingeschlossen.

Ein Lob auf Herzog Franz von Bayern

Was genau vorgefallen ist, bleibt offen. Aber Thaddea reichen Ben-Lucas Schuldgefühle für einen den Bruch. Danach wähnt sie sich von einem älteren Schriftsteller bedrängt, obwohl eher sie ihm nachsteigt als umgekehrt. Aber sie mag keine sozialen Aufsteiger. Sie beginnt einen Roman, kommt aber über die ersten Seiten nicht hinaus. Am Ende läuft alles auf eine Affäre mit einem in der Immobilienbranche tätigen Porschefahrer hinaus, dessen Spitzname „Pimpi“ alles über den Reichtum seiner Persönlichkeit aussagt. Bildende Kunst wird zum Lebens-Surrogat einiger Figuren, von denen sich die meisten nicht wirklich für das Ästhetische interessieren. „Bei der Kunst können sich die Leute eingestehen, dass sie zu irgendetwas gehören wollen“, sagt Ben-Luca in einem lichten Moment. „Es geht nur das Gefühl der Zugehörigkeit. Um nichts anderes.“

Mit einigem Hohn übergießt der Roman Münchens verschlafenen Museumsbetrieb, der sich selbst für Weltklasse hält. „Im Gegensatz zu den Boards der Museen in London und New York war in den Beiräten der Münchner Museen keine Macht vertreten“, heißt es einmal. Und was in Münchens Luxusvillen und Stadtwohnungen herumhängt, ist auch eher zweitklassig; „Roland Berger sammelte Peter Brüning“, stellt das Buch mit unterkühlter Schärfe fest. „Wenn es Twombly nicht gegeben hätte, wäre Brüning möglicherweise ein interessanter Maler gewesen.“

Stärkere Gefühle, wie sie andere Menschen in anderen Büchern haben, empfindet Thadea nur einmal: bei einer aufwendigen Performance im Haus der Kunst, die den Besucher die Flucht über die DDR-Grenze nacherleben lässt.

Wenn man schon ein paar schwächere Veranstaltungen dieser Art hinter sich hat, ist man schwer beeindruckt von der Kraft dieser Arbeit der (ausnahmsweise) erfundenen Künstlerin Fleur Blankovic. Obwohl das Buch bei der Erwähnung der Merchandising-Artikel sanft ironisch durchblicken lässt, dass nichts in der Kunstwelt frei von Kommerz und Humbug ist. Der einzige Mensch dieses Buches hat nur einen Kurzauftritt. Bei der Eröffnung der Ausstellung „Königsklasse“ auf Herrenchiemsee schüttelt Thaddea die Hand von Herzog Franz. Wer ihm schon einmal begegnet ist, wird Händlers Charakterisierung des obersten Wittelsbachers gerne beipflichten: „Arroganz lag ihm nicht nur völlig fern“, heißt es. „Er brachte es auf geheimnisvolle Weise fertig, alle Arroganz um sich herum zu bannen.“

Aber der Herzog verschwindet rasch. Übrig bleiben Gestalten wie der Ex-Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer oder die Sekretärin von Okwui Enwezor. Wer mit dem hiesigen Kulturleben vertraut ist, kann „München“ wie einen Regionalkrimi verschlingen. Das ist gewiss nicht die zentrale Absicht Händlers, der eher auf das entfremdete Leben zielt. Aber eine falsche Lektüre ist auch eine Lektüre.

Ernst-Wilhelm Händler: „München. Gesellschaftsroman“, S. Fischer, 352 S., 23 Euro

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