Erkämpfte Inseln im Ozean

Keine Angst vor Marlon Brando und Vivien Leigh: Die Kammerspiele haben ab Samstag wieder Tennessee Williams’ „Endstation Sehnsucht“ in einer Neuinszenierung im Spielplan
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Keine Angst vor Marlon Brando und Vivien Leigh: Die Kammerspiele haben ab Samstag wieder Tennessee Williams’ „Endstation Sehnsucht“ in einer Neuinszenierung im Spielplan

Eine „Knacksdame“ nannte Marianne Hoppe die Blanche DuBois in Tennessee Williams’ „Endstation Sehnsucht“, die sie 1949 spielte. Die psychisch angeknackste Südstaaten-Lady mit dem gar nicht ladyliken Vorleben ist immer noch eine Paraderolle. An den Kammerspielen ist darin jetzt Wiebke Puls zu sehen. Sebastian Nüblings Inszenierung hat am Samstag Premiere.

AZ: Frau Puls, Blanche DuBois hat alles verloren: Gut und Geld, ihren Ruf und den Job. Nun sucht sie Unterschlupf in New Orleans bei ihrer Schwester Stella, die mit einem polnischen Einwanderer verheiratet ist, und kehrt im Arbeiter-Milieu die Dame heraus. Was sucht sie dort?

WIEBKE PULS: Elia Kazan hat gesagt, das Wichtigste sei Blanches Unfähigkeit, für sich selbst zu sorgen. Man kann es auch anders sehen: Sie hat, noch jung, ihren geliebten Mann verloren, sich aufgerieben für den Familienbesitz, die Pflege der Verwandten bis zum Tod. Diese Todesnähe hat sie kompensiert durch sexuelle Aktivitäten mit verheerenden Folgen. Ihre Schwester bedeutet ihr Geborgenheit.

Tennessee Williams hat den prüden Amerikanern 1947 einiges zugemutet: Blanches Mann hat sich wegen Homosexualität erschossen, sie ist Nymphomanin und Alkoholikerin, am Ende schläft Stanley mit ihr, während Stella ein Baby kriegt.

Ich habe eine DVD der Verfilmung von Elia Kazan mit Marlon Brando und Vivien Leigh von 1951 zu Hause. Da gibt es ein Bonus-Kapitel über die Zensur. Blanches Vorleben wurde in Watte gepackt, die Sexualität zwischen Stanley und Stella verbrämt. Ich frage mich, was ist heute noch von Relevanz, was würde mich als Blanche heute bewegen? Am ehesten spielt noch ihr gesellschaftlicher Dünkel eine Rolle – und ihre Verlorenheit.

Wie heutig ist Sebastian Nüblings Inszenierung?

Visuell ist sie sehr angekommen im Jetzt. Und das Stück ist bei Nübling kein melodramatisches Kammerspiel, sondern voll von Leben, Bewegung und gedanklicher Nüchternheit. Aus verlagsrechtlichen Gründen darf keine Rolle gestrichen werden. So sind alle Figuren hier auf der Bühne sehr präsent – eine hochdynamische Gemeinschaft von sieben Menschen. Die Zweierszenen sind hart erkämpfte kleine Inseln, aber wie geht man mit der Intimität um, wenn man nie wirklich unter sich ist? Nübling drückt nicht auf die Tränendrüse. Er sucht nach unerwartet trockenen, auch komischen Seitenwegen, während das Stück ja eine klare psychologische Entwicklung aller Figuren vorgibt.

Als Blanche ihre Lebenslüge nicht mehr aufrecht erhalten kann, wird sie wahnsinnig.

Ich bin nicht sicher, ob Blanche wirklich wahnsinnig wird. Sie passt nicht mehr in die Realität, ist zu geplagt von Altlasten und kann sich in dieser Gesellschaft nicht mehr verorten. Der Sex zwischen Stanley und Blanche muss keine Vergewaltigung sein. Es gibt eine starke, sehr ambivalente Spannung zwischen den beiden. Am Ende steht gar nicht so sehr Blanches Wahnsinn, sondern die Auflösung einer sich bis zur Unerträglichkeit zugespitzten Situation. Blanche versucht möglicherweise auch, die Verhältnisse zu klären, indem sie ihre Umwelt zu eindeutigen Haltungen nötigt.

Sie landet in einem Heim.

Irgendwann kann ein Mensch eine zu große Belastung für die anderen werden. Ihn abzuschieben, erscheint den Angehörigen teils grausam, teils aber auch als karitativer Akt. Blanche ist nicht geistig im Nirwana, aber vielleicht ist die Psychiatrie für sie die entspannendere Lösung – auch eine Erlösung. Sie sehnt sich so sehr danach, dass jemand sie unter die Fittiche nimmt.

Hätte Blanche eine Chance gehabt, noch mal glücklich zu werden?

Ich glaube schon, wenn nichts über ihre Vergangenheit durchdringen würde, wenn man den Druck von ihr nähme. Doch sie bleibt einsam. Hat nicht jeder ein Recht auf eine zweite Chance? Andererseits: Können wir je aus unserer Haut? So richtig bösartig ist im Stück keiner. Man kann zusehen, wie’s im Gebälk kracht, wie Missverständnisse entstehen und es im Laufe der Zeit aussichtslos wird. Die Endstation ist nicht Sehnsucht, sondern eine Sackgasse. Es gibt keine Möglichkeit, dass diese kleine Gemeinschaft zusammenbliebe. Das ist bitter.

Bleiben Sie unter dem neuen Intendanten Johan Simons an den Kammerspielen?

Ja, zunächst für zwei Jahre. Ich fühle mich wohl hier, bin neugierig auf die Zeit mit Johan und glaube, in der Stadt zu bleiben, ist auch gut für meine Kinder.

Gabriella Lorenz

Kammerspiele, Samstag, 19.30 Uhr, Tel.23396600

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