Er hat nicht fertig erzählt
Das Tonband war Zeuge und jetzt berichtet es uns: Mit „American VI“, seinen allerletzten Aufnahmen, komplettiert sich der so bewegende Zyklusüber Johnny Cashs Abschied von dieser Welt
Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg? Die von Johnny Cash selber geschriebene Nummer auf diesem Album ist eine Songpredigt über den Vers im ersten Brief des Paulus an die Korinther. „American VI: Ain’t No Grave“ heißt das Werk aus zehn Songs, und es soll der letzte Teil der American-Recordings-Reihe sein, mit der der bärtige Produzentenbuddha Rick Rubin die Rückkehr des größten Country-Sängers unserer Zeit einleitete. In ihrer Gesamtheit sind diese Aufnahmen ein Zyklus über den Abschied von dieser Welt geworden. Cash starb 2003.
Es kommt der Tag, an dem die Rechnung auf den Tisch gelegt wird. Wenn Cash den Sheryl-Crow-Song „Redemption Day“ singt, dann ist es sein Lied, weil er, der auf den Tod Zutreibende, darin das Versprechen der Erlösung gefunden hat. Anders als bei den vorangegangenen Veröffentlichungen sind diese Songs durchgängig eine Überwindung des irdischen Zweifels.
Stimmungsvoll
Ergreifend und nicht hinterfragbar ist dieser Sänger, dessen Augen nach innen blicken und ein Leben nach dem Tod sehen. Wie auf den vorhergehenden Alben ist es die höchste Form der musikalischen Verbundenheit von Künstlern wie Mike Campbell, Smokey Hormel und Matt Sweeny an der Gitarre und Benmont Tench an den Tasten, zu schweigen und nur das Unverzichtbare aus ihren Instrumenten zu holen. Ein Glockenschlag des Klaviers reicht, um die Stimmung eines ganzen Songs zu fassen.
Die eigene Enkelin, erzählte Tochter Rosanne Cash der AZ im Interview, habe ihren Großvater erst richtig durch die Hollywoodverfilmung seines Lebens kennen gelernt. Drogen, Liebe, Erleuchtung – die Figur Cash ist von Biografen und Filmemachern fertig erzählt. Aber, und das ist das Schöne an diesem Album: Er selber hatte nicht fertig erzählt. Nach dem Tod von June wurde sein Studio zu einem Zentrum seines Lebens. Und auch diese letzten Aufnahmen sind einsame Beschwörungen der Erinnerung, mit dem Wissen um eine Zukunft. Das Tonband war Zeuge.
Der Orgel eisiger Atem
„Ain’t No Grave“ – ein wuchtgewaltiger Einstieg. Zum Schaukeln des Banjos schleppt sich das Stück voran, tatsächlich klirren Ketten im Rhythmus. Glockenschläge. Tönender Eisatem des Todes im Röcheln einer Orgel. Die Stimme des alten Mannes wandert durch diese Szenerie, zitternd, aber unverletzt. Und mit dem letzten Lied „Aloha Oe“ treibt der große Cash lächelnd und aufrecht stehend in seinem Kanu in die Ewigkeit.
Christian Jooß
Johnny Cash: „American VI: Ain’t No Grave“ (American Recordings/Lost Highway)