Enthusiastische Reise ins Land der Holzpilze

Mit Mariss Jansons und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auf Gastspiel in der rumänischen Hauptstadt Bukarest
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Mit Mariss Jansons und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auf Gastspiel in der rumänischen Hauptstadt Bukarest

Bei Rumänien denkt man im freundlichsten Fall an Knoblauch und Dracula, aber auch an Diebstahl und Unterentwicklung. Als das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks 1994 unter Lorin Maazel in Bukarest gastierte, fand die Hälfte der Musiker ihre Koffer bei der Gepäckausgabe geplündert vor.

Diesmal blieb das Eigentum unversehrt. Aber der erste Eindruck war auch diesmal balkanesisch: Am Flughafen Baneasa verrotten abgewrackte Jets hinter Stacheldraht. Auf dem Weg ins Zentrum der sechstgrößten Stadt der Europäischen Union erstaunt der Alleebäume nicht verschonende Kabelsalat. Er verbindet abblätternde Prachtbauten der Jahrhundertwende und hässliche Wohnblocks mit dem Betonwahn des Ex-Diktators Nicolae Ceausescu. Vor der Universität protestieren Statuen rumänischer Geistesgrößen mit Gasmasken gegen den Smog.

An der Sala Palatului, dem Ort des Konzerts, werden die letzten Einschusslöcher der blutigen Revolution von 1989 zugeflickt. Der Kapitalismus zeigt sich in Gestalt eines Wettbüros neben dem Künstlereingang des Riesenbaus, der vor 50 Jahren hinter dem einstigen Königspalast für Parteiversammlungen errichtet wurde.

„Dafür ist das Gebäude in Ordnung", meint Ioan Holender trocken. Der in Rumänien geborene Direktor der Wiener Staatsoper leitet das Enescu-Festival. Das Athenäum, der historische Konzertsaal Bukarests, ist recht klein. Der mit graugrün vergilbtem Velour ausgeschlagene Kasten wurde mit Stoffbahnen akustisch aufgehübscht.

In jeder Hinsicht in Bestform

Dem Staat ist das Festival als kulturelles Fenster nach Europa wichtig. Die Karten sind nicht teuer, und Mariss Jansons war für sich selbst die beste Werbung: Eine Woche zuvor hatte er im gleichen Saal das Amsterdamer Concertgebouw Orkest dirigiert. Die 2800 Plätze waren alle besetzt, 100 weitere Besucher drängten sich stehend am Rand.

Mariss Jansons war musikalisch wie gesundheitlich in Bestform. Sein ansteckender Enthusiasmus sprang mühelos über das mit Kunstblumen und Holzpilzen liebevoll verzierte Podium, weshalb die Musiker erst nach zwei Zugaben gehen durften. Mit Beethovens Siebter, Vorspiel und Liebestod aus Wagners „Tristan" und der „Rosenkavalier"-Suite von Richard Strauss entsprach das Gastspiel nicht den gestrengen Regeln des Festivals: Eigentlich gehört ein Stück des 1951 verstorbenen Komponisten, Geigers und Dirigenten George Enescu dazu. Sogar die Münchner Philharmoniker hätten dies zugestanden, bemerkte der stellvertretende Leiter Mihai Constantinescu.

Die Philharmoniker? Erweitert Thielemann den Rumänen zuliebe sein Repertoire? Nicht ganz: Nur das Philharmonische Kammerorchester gastierte, geleitet vom Konzertmeister Lorenz Nasturica-Herschowici, der aus Bukarest stammt. Am Flughafen trafen sie vielleicht einige Kollegen vom BR, die einen Tag nach dem Konzert unter Jansons als Bach Collegium München noch mit Jacques Loussier „Play Bach" jazzten.

Und so erfüllte sich wenigstens unter Musikern die große Hoffnung des Festival-Managers Constantinecu: Im Namen des Kosmopoliten Enescu soll Rumänien mit dem übrigen Europa neu zusammenwachsen, wie es dem historischen Ruf Bukarests als „Paris des Ostens" entspricht.

Robert Braunmüller

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