Englishman im Lyrikland

Sting sieht die Zeit reif für seinen „ersten zaghaften Schritt ins Reich der Dichtkunst“ und veröffentlicht alle Songtexte in einem Band – dazu schwärmt er von den frühen Tagen mit Police
von  Abendzeitung

Sting sieht die Zeit reif für seinen „ersten zaghaften Schritt ins Reich der Dichtkunst“ und veröffentlicht alle Songtexte in einem Band – dazu schwärmt er von den frühen Tagen mit Police

Auch Rockstars wollen wissen, was vom Lebenswerk einmal übrigbleiben wird, wenn es auf die 60 zugeht, die eigenen Projekte für den brasilianischen Regenwald etabliert und die CD mit hochseriöser Interpretation englischer Lautenmusik aus dem 16. Jahrhundert das Spätwerk eröffnet hat. Sting (58), als Sänger, Bassist und Texter von Police ein Megastar der 80er Jahre gewesen, später als Solokünstler kommerziell noch erfolgreicher geworden, hat nun zu diesem Behufe seine Songtexte editiert.

Aus mehr als hundert Texten von „Outlandos D’Amour“ von 1978 bis „Sacred Love“ von 2003 wird so inklusive Übersetzungsteil und dem nützlichen Verzeichnis aller Songanfänge ein 500-Seiten-Werk. Kein Lesebuch, aber eine Textsammlung mit leicht lesbaren Erläuterungen, bei dem sich Sting als zum Glück nur stellenweise eitler Selbstinterpret erweist: Ein Mann mit Regenwald-Projekt und Lauten-CD, der nachdenklich und ein bisschen wehmütig auf die Tage zurückblickt, als es für ihn auf Rockbühnen noch etwas zu gewinnen gab. So notiert Sting über die allerersten Sessions von Police: „Wir waren so voller Hoffnung, dass es schon Irrsinn war, und wir waren nie glücklicher als damals.“

Erzählte Musikgeschichte

Er habe es immer vermieden, Songtexte ohne Musik zu veröffentlichen, schreibt Sting, doch nun sei – mit diesem Band – die Zeit reif für „einen ersten zaghaften Schritt ins Reich der Dichtkunst“: „Vielleicht zum ersten Mal habe ich gesehen, wie gut die Texte auch für sich stehen können, und man kann sich nun seine Gedanken machen, ob Songtexte Gedichte sind oder doch etwas ganz anderes.“

In diesem Fall sind sie vor allem auch Mittel zum Erzählen von Musikgeschichte. So erfährt man, dass Sting den frühen Police-Hit „So Lonely“ ursprünglich mit seiner früheren Band Last Exit zur Melodie von Bob Marleys „No Woman, No Cry“ gesungen hatte, dass ihn beim Schreiben von „Roxanne“ 1977 in Paris die Traurigkeit und Romantik von Edmond Rostands „Cyrano de Bergerac“ und die Prostituierten vor seinem Hotelfenster inspirierten, und dass ihn wahrscheinlich der „hoffnungslose Blick“ seines Hundes auf die Idee mit dem Schiffbrüchigen und der Flasche bei „Message In A Bottle“ gebracht habe. Und hier ist Sting auch wieder ganz der fein-sarkastische „Englishman“, den er ja auch selbst besungen hat: „Jemand mit mehr Talent hätte wohl den Stimmungsumschwung im dritten Vers mit einem Wechsel der Tonart unterstrichen. Aber es ging auch so.“

Leben und Leben lassen

Schmallippig dagegen kommentiert er „Don’t stand so close to me“, in dem eine Affäre zwischen einem Lehrer und einer Schülerin angedeutet wird: „Ja, ich habe als Lehrer gearbeitet. Nein, das Lied ist nicht autobiografisch.“

Oft kritzle er nachts Textideen und Notenfolgen auf ein Blatt und rätsle am Morgen, was die Hieroglyphen bedeuten sollten. Bei „Walking On the Moon“ hat es funktioniert: „Ich konnte nicht schlafen. Ich lag im Bett im Hotelzimmer in München, und dieses Rum-ta-tum-Bassmotiv ging mir nicht aus dem Kopf. Daraus wurde eine Melodie, die sich leicht und luftig anfühlte – leichter als Luft sogar.“

So fühlt sich auch dieses dicke Buch recht leicht und luftig an, da hier ein Solitär der Rockgeschichte entspannt mit uns plaudert. Gewichtiger sind die Songtexte selbst – sofern man sie im englischen Original und nicht in der deutschen Übersetzung liest.

Michael Grill

Sting: „Die Songs“ (S. Fischer Verlag, 22.95 Euro)

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