"Endstation Sehnsucht" - Lärmerei in den Kammerspielen

Ist das ein Heimwerker-Wettbewerb, ein Turnverein oder eine Proll-Kneipe? Sebastian Nübling inszeniert "Endstation Sehnsucht" von Tennessee Williams in den Kammerspielen.
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Ist das ein Heimwerker-Wettbewerb, ein Turnverein oder eine Proll-Kneipe? Sebastian Nübling inszeniert "Endstation Sehnsucht" von Tennessee Williams in den Kammerspielen.

Das Tohuwabohu bei den Kowalskis ist eine Mischung aus allem. In den Kammerspielen inszenierte Sebastian Nübling „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams als schrill überdrehte Dauerparty.

Nach über drei Stunden Ovationen für Wiebke Puls, die mit Partner Jochen Noch als einzige für Spannung sorgt. Ständig dudelt Musik, ständig herrscht Action zwischen den verwinkelten Sperrholzwänden (Bühne: Muriel Gerstner). Die Männer tapezieren 70er-Jahre-Deko, die Frauen zerren Klamottenberge hin und her. Nachbarn und Kumpel sind bei Stanley Kowalski und seiner Frau Stella ständig präsent. Die Männer tragen dicke Tattoos, die Frauen Hotpants (Kostüme: Amit Epstein). Man springt durch Fenster, schmeißt Dartpfeile, knutscht, rauft, pokert, säuft und schläft irgendwo.

In diese Lärmerei kommt die hypersensible Blanche DuBois wie ein verirrter exotischer Vogel. Vorsichtig stakst Wiebke Puls in elegantem Schwarz durch das Chaos, spült ihr Entsetzen heimlich mit Whisky runter. Denn die besseren Verhältnisse, aus denen sie und ihre Schwester Stella stammen, sind passé: Das Familiengut ist weg, ihren Lehrerinnenjob hat Blanche wegen Sex-Affären verloren. Ihre Allure der Grande Dame wirkt im Arbeitermilieu, in dem sich Stella assimiliert hat und Blanche Zuflucht sucht, so lächerlich wie provokant.

Meisterhaft legt Wiebke Puls Blanches Nerven bloß. Sie changiert zwischen Snobismus und Mädchenhaftigkeit, damenhafter Fassade und Trinker-Scham, züchtiger Sentimentalität und frivoler Herausforderung – und verblüfft immer wieder mit grotesker Körperkomik. In Stanleys Kumpel Mitch sieht sie ihre letzte Hoffnung auf eine Heirat.

Großartig spielt Jochen Noch die Einsamkeit des Muttersöhnchens. Wunderbar komisch umklammern sich die beiden mit wippenden Körpern und kriegen sich doch nicht zu fassen – da ist die ganze Tragik und Verlorenheit der Figuren spürbar. Am Ende biegt sich Blanche in ihrer Tüllwolke in seinen Armen rückwärts, um den Schnaps aus dem Kühlschrank zu fummeln, und gesteht die Wahrheit – ein ergreifender Absturz in die trostlose Realität.

Außer Mitch hat Blanche in Nüblings unendlich zerdehnter, zeit-, ort- und stilloser Inszenierung keinen Gegenpart: Stanleys Animalität, die sie abstößt und anzieht, bleibt bei Steven Scharf harmlose Behauptung. Sie löst sich auch gegenüber Katja Bürkles nassforscher, kalter Stella nicht ein. Die Prolls sind billige Klischees, und als Gipfel der Peinlichkeit spielen die Männer im Weiberfummel die Affenhorde, wie Blanche sie später nennt. Zur Erhellung trägt das nichts bei.

Gabriella Lorenz Kammerspiele, 20., 23., 29., 31. Jan., Tel. 233 966 00

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