Endlich Menschenbilder!

Ein starker Anfang: Andreas Kriegenburgs Inszenierung von Wagners „Rheingold” im Nationaltheater
Robert Braunmüller |
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Unter vielen Kritiker-Kollegen gilt Wagners „Ring“ derzeit als „ausinszeniert“: Psychoanalyse, Ideologiekritik, Verwitzelung, geschmackvolles Bildertheater – alles hat man schon und oft gesehen. Seit der Stuttgarter Dekonstruktion durch vier Regisseure (2000) und dem Bilderrausch von La fura dels baus in Valencia (2009) waren zwingende Inszenierungen des Vierteilers rar. Aber unter ehrgeizigen Intendanten und Generalmusikdirektoren gilt der „Ring“ als Mount Everest der Oper, den man unbedingt bestiegen haben muss.

Der hiesige „Ring“-Auftakt mit dem „Rheingold“ vertreibt solch trübe Gedanken. Es geht doch! Andreas Kriegenburg inszeniert auf einer fast leeren Bühne (Harald B. Thor) Wagners Menschheitsmythos als Märchen und Gleichnis. Er lässt die Geschichte ohne übergestülptes Konzept von innen heraus für sich sprechen, bezieht aber mit leichter Hand trotzdem Stellung. Dankenswerterweise gibt es keine Banalisierung der Figuren, die bei der verflossenen Inszenierung David Aldens so nervte.

Am Beginn steht, noch vor dem Kontra-Es der Bässe, der paradiesische Urzustand: Licht- und Nachtalben picknicken auf der Bühne. Dann lässt der Bewegungschor nackt den Rhein strömen und formt später, entsprechend zur Verwandlung der musikalischen Motive, die Götterburg Walhall. Bei der uninszenierbaren Verwandlung nach Nibelheim und zurück wird Text projiziert. Das Goldbergwerk wirkt unheimlicher als je gesehen. Die Regie-Prüfsteine Riesenwurm und Kröte werden überraschend gut gemeistert.

Das allein ist schon mehr, als vielen anderen „Rheingold“-Schmieden gelang. Kriegenburg verbindet die Körperornamentik mit ihren Bildern von Macht und Unterdrückung mit einer psychologisch ausgefeilten Personenführung. Die Auseinandersetzung zwischen Wotan und Alberich sowie die inneren Krisen der Göttergesellschaft werden scharf nuanciert. Freia trauert mit Stockholm-Syndrom ihrem toten Verfolger Fasolt nach, Wotan ist nach dem Verlust des Rings ein gebrochener, von Fricka gestützter Mann, der als Schatten seiner selbst in Walhall einzieht.

Bilder und Musik steigern sich wechselseitig. Kent Nagano hält das Staatsorchester zur Transparenz an. Die klanglichen Wirkungen sind plastisch ausgeformt und werden in den Vordergrund gerückt. Das sehr flexible Tempo wirkt natürlich, einzelne Stellen wie der krachende Auftritt der Riesen schien vor allem wegen der herausschmeckenden Kontrabasstuba leicht überwürzt.

esungen wird gut, aber nicht überragend. Liebling der Premierenbesucher war Stefan Margita als Loge. Sein gellender Tenor und der starke Akzent bleiben Geschmackssache, können aber als Typ-Besetzung für den Außenseiter und Spötter durchgehen. Johan Reuter gestaltet den Wotan mit bassigem Heldenbarition etwas farbenarm, hart und zu leise. Doch der Sänger macht dies mit starker Bühnenpräsenz ebenso wett wie Sophie Koch ihr forciertes Deklamieren als Fricka.

Johannes Martin Kränzle sprang kurzfristig als Alberich ein und erwies sich dank kerniger Stimme als ideale Verkörperung eines Aufsteigers, der die Nibelungen mit dem Dirigentenstab drangsaliert. Die Riesen waren tüchtigen Ensemblesängern übertragen (Thorsten Grümbel, Phillip Ens), Ulrich Reß’ Mime ist unverbraucht wie eh und je. Wenn man sich was wünschen dürfte, dann eine Altistin als Erda und nicht den übliche Mezzo (viel zu hell: Catherine Wyn-Rodgers).

Ein paar Unentwegten missfiel der Abend. Doch selten wurde eine Wagner-Premiere in München so einhellig begeistert aufgenommen. Im März folgt die „Walküre“ – wenn es Kriegenburg weiter gelingt, starke Bilder ohne Besserwisserei mit kluger Psychologie zusammenzuzwingen, wird die Bayreuther Zertrümmerung durch Frank Castorf 2013 viel älter ausschauen als Fricka ohne Freias Äpfel.

Alle Vorstellungen der „Rheingold“-Serie sind ausverkauft

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