Endlich entfesselt - aber doch nicht glücklich

Martin Kušej inszeniert „Die bitteren Tränen der Petra von Kant” – als Startschuss eines Festivals zu Ehren von Rainer Werner Fassbinder im Marstall
Michael Stadler |
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Sechs Frauen in einem Appartement und kein Mann in Sicht – so etwas hat Martin Kušej auch noch nicht inszeniert. Mit seiner Interpretation von Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant”, die heute um 20 Uhr Premiere hat, fällt der Startschuss für ein Rainer-Werner-Fassbinder-Festival im Marstall.

AZ: Herr Kušej, wie sind Sie dem Werk von Fassbinder zum ersten Mal begegnet?

MARTIN KUSEJ: Das waren sicher seine Filme. In Graz gibt’s ein ganz reizendes kleines Programmkino, das Rechbauer-Kino, wo ich Ende der Siebziger hingegangen bin. 1979 habe ich angefangen zu studieren, und da habe ich mir auch einige Fassbinder-Filme angeschaut. Was ich allerdings nie gesehen habe, sind „Die bitteren Tränen der Petra von Kant”. Weder damals noch heute. Ich hab’s nur als Theaterstück gelesen, was es ja zunächst war, bevor es von Fassbinder selbst verfilmt wurde.

Warum gerade dieses Stück?

Ich habe einfach die Gesamtausgabe der Theaterstücke von Fassbinder durchgelesen und „Petra von Kant” herausgepickt. Das war überhaupt mein Grundgedanke: bei diesem Fassbinder-Festival noch ein kleines Stück zu inszenieren, um von der getragenen, großen Bühne, von Schnitzler und der Eröffnung, von all dem, wofür ich als Intendant zu stehen habe, mal wegzukommen und schnell irgendwas Abgefahrenes zu inszenieren. Bewusst im Marstall, ohne Riesenbudget.

Eine Art Guerilla-Theater.

Ja. Aber dieses Gefühl von freier Gruppe lässt sich doch nicht wieder herstellen. Es ist genauso wie mit meinen Reisen: Ich bin früher viel mit Rucksack gereist, habe in den schlimmsten Kaschemmen, auf Schiffen oder Stränden übernachtet. Das habe ich vor ein paar Jahren noch mal in Marokko probiert – das geht aber nicht mehr. Ich bin noch in der Nacht aus der Jugendherberge ins Hotel marschiert. Und so ist doch ein Abend mit emotionaler Sprengkraft entstanden.

Fassbinder war von der Nouvelle Vague beeinflusst, von Douglas Sirk, den großen Hollywood-Melodramen. Wo liegen Ihre filmischen Vorlieben?

Wenn man in der deutschen Filmecke bleibt, ist das eher Werner Herzog, auch seine frühen Werke. Wenders mag ich auch, „Der Stand der Dinge” ist einer meiner Lieblingsfilme.

Herzog verfolgt einen filmischen Naturalismus, ganz anders als Fassbinder. Der inszenierte seinen „von Kant”-Film als theatrales Kammerspiel.

Das habe ich auch gehört. Ich mache das Gegenteil: Ich nehme filmische Mittel her – wir haben um die 26 Bilder, es gibt da Schnitte von 5 bis 10 Sekunden, mit großen Kostüm- und szenischen Wechseln.

Hat Sie hier wie bei Schnitzlers „weitem Land” das Thema der Treue, der Komplexität von Beziehungen interessiert?

Dass ein Stück einen guten Plot hat, ist mir sehr wichtig. Wenn ich was lese, weiß ich, das mache ich, dafür habe ich auch einen Instinkt. Da fühle ich mich ein bisschen verwandt mit Fassbinder, wobei ich ihn weder als Filmemacher noch als Autor überragend fand. Jetzt bin ich darauf gekommen, dass das ein Mensch war, der wirklich rasiermesserscharf exakt Bescheid wusste über die Befindlichkeiten seiner Figuren.

Fassbinder meinte mal: „Männer sind primitiv in ihren Ausdrucksmitteln. Frauen können ihre Emotionen besser zeigen, bei Männern wird das leicht langweilig.”

Also, ich kann das bestätigen. Was nicht heißt, dass Männer nicht auf andere Art interessant sein können. Ich habe jetzt täglich mit sechs Frauen gearbeitet, das war nicht leicht, obwohl wir ein enorm angenehmes Arbeitsklima hatten. Meine Befürchtung war, dass das Bild, das ich mir mache, dominierend männlich ist.

Ihre Darstellerinnen waren aber bisher einverstanden?

Ja.

Fassbinder hat immer großartige weibliche Hauptrollen geschrieben. Auch bei Ihnen stehen Frauen oft im Zentrum, allein im „Weibsteufel” oder „Interview”. Sind Frauen in ihrer Emotionalität spannender?

Sie sind schon historisch immer eher in einer Art Opfer- oder Verliererposition. Mich interessiert, wenn eine Befreiung stattgefunden hat, und diese Utopien doch scheitern, ähnlich wie die Französische Revolution. Die Frauen haben sich Gott sei Dank seit den Sechzigern befreit. Dann stellt sich aber eine Verunsicherung und Infrage-Stellung des Erreichten ein, weil man vor einer gewissen Leere steht. Man hat sich von den Fesseln befreit, und nun findet man keine Identität mehr, weil man sich über diese Fesseln definiert hat.

Man definiert sich auch über seine Leidenschaften: Es ist bekannt, dass Sie ein passionierter Koch sind. Nächste Woche gibt es das „Guerilla-Cooking” mit Ihnen und Starkoch Holger Stromberg im Marstall. Kommen Sie als Intendant überhaupt noch zum Kochen?

Ich komme zu wenig zum Kochen, aber versuche das jetzt so ein bisschen einzubauen. Am Donnerstag habe ich etwa für meine sechs Darstellerinnen bei mir zu Hause gekocht.

Was gab’s?

Jakobsmuscheln mit Vanille-Sauerkraut, Rosenkohlcremesuppe mit Paprikaflocken, Kabeljau in der Cocos-Creme mit Wildreis und Ziegenquark-Mus mit Safran-Birnen.

Und: Hat’s den Damen geschmeckt?

Einen Gang habe ich verbockt mit meinem neuen Backofen, aber ich glaube, es war trotzdem gelungen.

Die Premiere am Samstag im Marstall ist ausverkauft.

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